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2014-10-06 Schauspielkritik:

Staatstheater Mainz: Jan-Christoph Gockel schaufelt Zuckmayer, Bückler und allerhand mehr ins Wirtshaus

Der Dreigroschen-Schinderhannes 

 
ape. Mainz. So konzentriert die Opern-Produktion „Fairy Queen” zum Start der neuen Intendanz am Mainzer Staatstheater ausfiel, so lang und zerfasert war am Folgetag der erste Schauspielabend. Drei Stunden und 15 Minuten nimmt sich Regisseur Jan-Christoph Gockel Zeit - nicht etwa, um eine Inszenierung des Stückes zu zeigen. Vielmehr breitet er aus, was es über den 1803 in Mainz hingerichteten Hunsrücker Oberräuber „Schinderhannes” sowie über das gleichnamige Volksstück von Carl Zuckmayer, über Realitäten und Fiktionen beider, über deren Rezeption und Verwurstung durch die Nachgeborenen zu erzählen, zu zeigen, zu deuten, zu analysieren gibt.
 



Wie schon 2013 beim Mainzer Projekt über die Brüder Grimm und in Bonn bei der theatralischen Betrachtung von Fritz Langs „Metropolis” lassen Gockel und Bühnenbildnerin Julia Kurzweg opulent auffahren. Das Parkett des Kleinen Hauses entstuhlt, mit rustikalen Bänken und Tischen zum Wirtshaus umgebaut. Darin werden die Gäste – das Publikum – tatsächlich mit Wein, Schorle, Wasser bewirtet. Derartigen Aufwand hatten wir zuletzt 1996 am Theater Koblenz erlebt beim Ausstand des damaligen Intendanten Hannes Houska mit „Im weißen Rössl”.

In Mainz verquirlen nun bis zur Pause die Protagonisten inmitten des Wirtshauspublikums Zuckmayer'sches Volkstheater mit jahrmarktsmäßigem Moritatenspiel sowie Momenten, die den geschichtskritischen Diskurs über Johannes Bückler alias Schinderhannes als pittoresken Kneipenstreit mit Bänkelmusik in Szene setzen. War er ein Robin Hood des Hunsrücks, der den Armen gab, was er den Reichen raubte? Oder war er ein gerissener Tunichtgut, der im Schatten der napoleonischen Kriege zwecks Eigenbereicherung ein mafioses System betrieb?

Warum thematisierte Zuckmayer 1927 nicht, dass die Bückler-Bande häufig Juden überfiel, die regionale Obrigkeit in diesen Fällen alle Augen zudrückte? Was überhaupt hat den rheinhessischen Autor am realen Schinderhannes so fasziniert? Wie hängt das mit seiner eigenen Jugend und dem Erleben des 1. Weltkriegs zusammen? Und wie kann es sein, dass die zwielichtige Bückler-Gestalt medial zum Volkshelden umgedeutet wurde, heute gar als touristischer Werbefaktor benutzt wird?

Wieder verwebt Gockel gelehrsam ambitioniert wie humorig verspielt tausenderlei Aspekte unterschiedlichster Ebenen miteinander. Benutzte er bei „Grimm” und „Metropolis” noch Marionetten als Brücke zwischen den Ebenen, so jetzt Masken, die sich Schinderhannes und Co. zeitweise übers Gesicht ziehen. Wenn aber nach der Pause ein Rap-Filmclip heutigen Straßenkampf mit dem 1. Weltkrieg verbindet und dieser zugleich das historisch reale wie das in Zuckmayers Stück überhöhte Ringen des Schinderhannes mit Napoleons Truppen am Rhein meint – dann helfen dem Zuseher auch keine Masken mehr, sich in dem völlig überladenen Wust zurechtzufinden.

Unangenehmer noch: Die sich zeitweise als rheinhessisch-hunsrückische Dreigroschenoper gerierende Produktion hat arge Längen. Sie badet ausdauernd in gekünstelter Saftigkeit, Witzigkeit, Volkstümlichkeit, wird peinlich bei Versuchen, das Publikum zum Mitmachschwof zu animieren. Verloren geht darüber das Wichtigste am Theater – die Schauspielkunst. Ob in Mainz neue Kräfte wie Sebastian Brandes (Bückler) oder Johannes Schmidt (Adam), ob vertraute Mimen wie Ulrike Beerbaum (Julchen), Lorenz Klee (Zughetto) oder Monika Dortschy (Wirtin): Zwischen Mummenschanz und Moritat, Lehrauftrag und mundart-bemühtem Regionalbrettl bleibt kaum Raum für ihr eigentliches Können.

Über „Grimm” hatten wir geurteilt: Zu viel gewollt, aber sehr viel erreicht. Über „Metropolis”: Zu viel gewollt und konfus geworden. Jetzt muss es heißen: Noch mehr gewollt und gescheitert.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 06. Oktober 2014)


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/"Schinderhannes" in Mainz/

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