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2014-09-17 Schauspielkritik:

Jelineks "Rein Gold" und Ibsens "Baumeister Solness" am Staatstheater Wiesbaden

Walhall trifft auf Wall Street und
Alterstrist auf Jugendfrische


 
ape. Wiesbaden. Im Zentrum standen zum Start der Intendanz Laufenberg am Staatstheater Wiesbaden die dicken Musiktheaterbrocken „Frau ohne Schatten” und die an dieser Stelle bereits besprochene „Dreigroschenoper”
(
∇ hier). Die Eckpunkte des viertägigen Premierenreigens bildeten zwei kleinere, aber nicht minder interessante Schauspielproduktionen, die hier summarisch gewürdigt seien: Elfriede Jelineks „Rein Gold” von 2012 und Henrik Ibsens „Baumeister Solness” aus dem Jahr 1892.
 

Jelinek nennt ihren Text ein „Bühnenessay”, und wie meist bei der österreichischen Literaturnobelpreis-Trägerin handelt es sich mehr um eine atemlos dahinströmende Argumentions- und Assoziationsflut, denn um ein Stück im herkömmlichen Sinn. Der Titel „Rein Gold” kündet von Auseinandersetzung gleichermaßen mit Richard Wagners Nibelungen-Opus wie mit dem Gold, nach dem alles strebt und das als Geld die Welt jüngst wieder am Abgrund entlang regiert.

Regisseurin Tina Lanik macht aus dem Zusammentreffen von Wagner und Marx, Walhall und Wall Street, Wotan und Finanzgott einen geistreichen, sinnenfrohen, humorigen Zwei-Stunden-Abend. Ihre Mixture aus Opernpersiflage, Sprechtheater, Maskenspiel ist vor allem für Wagner-Kenner ein rechtes Vergnügen, bietet aber auch allen anderen Anlass zum Schmunzeln wie Grübeln. Etwa über die Verbindung zwischen Schulden, Schuld und Selbstzerstörung sehenden Auges. Über Helden, die Deutschland wohl immer braucht, sowie NSU-Terroristen, deren Eigenheimidyll in Flammen aufgeht wie dereinst die Burg Walhalla.

Zu behaupten, man hätte die Jelinek'schen Gedankengänge und ihre Ausdeutung in Laniks Szenen alle verstanden, wäre geschwindelt. Manches bleibt im keck und farbig aufgespielten „Rein Gold” so rästelhaft wie in Ingo Kerkhofs leiser, fast spartanischer Inzsenierung von „Baumeister Solness” ungeklärt. Lässt sich der von Höhenangst geplagte Architekt am Ende dazu treiben, auf den Turm zu klettern, um den Richtkranz zu hängen und stürzt er dabei ab? Oder ist das bei Ibsen tödliche Finale in der Wiesbadener Interpretation nur ein Fantasiegespinst der jungen Hilde?

Kerkof verkneift sich jeden effekthaschende Zusatz. Seine Inszenierung ist ganz konzentriert auf Gestus, Gesichtsausdruck, Haltung, Sprechweise der Figuren. So können Nicolas Brieger und Janina Schauer eine wunderbar ambivalente, sich ständig verdichtende Spannung entwickeln zwischen Ängsten und zugleich Sehnsüchten des Alters einerseits, Träumen und Drängen der Jugend andererseits.

Dass hier manches offen bleibt, entspricht durchaus Ibsens Ansatz. Setzt Hilde juvenile Unbekümmertheit und natürlichen Sexappeal berechnend ein, um Solness in jene Heldenrolle zu zwingen, die er in ihrer Fantasie seit einer Begegnung in der Kindheit spielt? Will der Baumeister diese Rolle tatsächlich annehmen – in der Hoffnung, so die Jahrzehnte jüngere Frau für sich zu gewinnen und mit ihr die vermeintliche Befreiung vom tristen Gang des Alters? Oder sehen wir nur Gedankenspiele beider mit ersehnten Möglichkeiten?

Das sind Fragen, mit denen das Leben immer wieder droht – und die der  Wiesbadener „Baumeister Solness” uns in großer Ernsthaftigkeit zum Nachdenken mitgibt. Damit setzt Kerkhof dem vielgestaltigen Eröffnungs-Wochenende am Hessischen Staatstheater einen intimen wie intensiven Schlusspunkt in bester Tradition des psychologischen Kammerspiels. Schön.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 17. September 2014)


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