Thema Musik
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2014-08-05 Konzertbesprechung:

 

Romantik und Jazz im Versuchslabor

Vokalensemble und Big Band des SWR luden bei RheinVokal zum Musikexperiment "Loreley Swing"


ape. Bingen. Es mag für einige Besucher nicht das schönste Konzert des diesjährigen RheinVokal-Festivals gewesen sein, das spannendste war es auf jeden Fall. In Bingen kamen zwei Musikformationen zusammen, die in ihrem jeweiligen Fach zur Weltspitze gehören und beide aus demselben südwestdeutschen „Stall” stammen. Trotzdem haben das SWR Vokalensemble Stuttgart als Spezialchor vor allem für zeitgenössische Vokalkunst und die SWR Big Band als Meisterensemble für Jazz und Swing kaum je miteinander musiziert. Ihre Metiers weisen nunmal nicht allzu viele Berührungspunkte auf.

Was treibt sie jetzt gemeinsam auf die Bühne? Ausgerechnet ein Stoff, mit dem die Singekünstler wie auch die Bandjazzer von Hause herzlich wenig verbindet: Romantik in Form deutscher Volkslieder und norwegischer Nationalklassik. Um das Maß der Seltsamkeiten voll zu machen, hatte der SWR deutsches Liedgut dem norwegischen Jazz-Komponisten Helge Sunde zu moderner Bearbeitung anvertraut, im Gegenzug den Freiburger Jazz-Professor Ralph Schmid mit Neuarrangements für Titel aus Edvard Griegs „Peer Gynt”-Musik beauftragt.

Kurzum: Das Konzert ist ein zeitgenössisches Experiment von hohen Graden – das gar nicht daran denkt, dem irreführend harmlosen Abendtitel „Loreley Swing” den Gefallen der Gefälligkeit zu tun. Da erhebt sich hinter drängendem Schlagzeug ein sechsstimmiger Gesang, der das vertraute Dur und Moll weit hinter sich lässt. „Ich weiß nicht / ich weiß nicht / was / was / was / soll es / soll es …. bedeuten” stößt, bellt, zischt, echot in fugaler Versetzung der Chor, lässt Verse in den Tiefen vergurgeln, in den Höhen sirenen. Die Big Band groovt dazu in komplizierten, nach fast sinfonischer Art  durchkomponierten Strukturen. Und der Trompeter legt ein Solo hin, als besinge er eines Schiffers letzte Lustfantasie vor dem Ersaufen am wild umtosten Loreley-Fels.

Wer Friedrich Silchers süße Melodei erwartet hatte, dem klingeln bald die Ohren von jazziger, romantische Hörgewohnheiten strapazierender Verfremdung. Für Freunde jüngerer und jüngster Jazzkunst sowie Liebhaber chorischer Avantgarde-Tönerei eröffnet sich freilich ein ganz neuer  Zugang zum verstaubt geglaubten Liedgut. Sunde hat etwa aus „Wenn ich ein Vöglein wär” eine Jazz-Pastorale mit Bläserchoral und Frauenchorus, imitierendem Flötenspiel und Sopransolo gemacht: wunderschön – sofern man mit der „schrägen” Harmonik des Gegenwartsjazz und der synkopierten Rhythmik klarkommt.

Schmid hat Griegs „Morgenstimmung” aus der ersten Peer-Gynt-Suite der vergewaltigenden Umschlingung durch die TV-Werbung entrissen mit einem Geflecht zart-melodiöser Frauenstimmen über kraftvoll kontrastierendem Sprechgesang der Männer. Seine Jazz-Bearbeitung von „Solveigs Lied” baut auf Klangphänomene, bei denen Chorstimmen und Bandinstrumente verschmelzen – die nordische Saga erscheint in ganz neuem Licht.

Doch womit man beim Experimentieren immer rechnen muss: Nicht alles klappt gleich perfekt. In Bingen ist die Lautstärke-Balance zwischen Band und Chor unglücklich. Trotz technischer Verstärkung des Vokalensembles sind Blechbläser, Drums, E-Gitarre zu laut, schmälern für das Saalpublikum leider die Durchhörbarkeit des hoch komplexen, feinnervigen Gesangs. Die akustische Abstimmung des Rundfunkmitschnitts wird wohl besser sein, weshalb man hinsichtlich der Feinheiten dieses denkwürdigen Experiments auf die Ausstrahlung am 29. Oktober (ab 13.05 Uhr) bei Radio SWR2 gespannt sein darf.                                         

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 5. August 2014)


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