Thema Politik / Gesellschaft / Zeitgeschichte
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2014-08-04 Analyse:

Zum 50. Jahrestag des Tonkin-Zwischenfalls
 

Wie der Vietnamkrieg
auch Deutschland veränderte

 
ape. Kein anderer Krieg der Neuzeit ohne direkte Beteiligung deutscher Soldaten hat die Gesellschaft in Deutschland so sehr bewegt und auch nachhaltig verändert wie der Vietnamkrieg. Die Weigerung der rot-grünen Bundesregierung 2002/2003, unter Führung der USA mit eigenen Soldaten am Irak-Krieg teilzunehmen sowie die seinerzeitige Unterstützung dieser Haltung durch 80 Prozent der Deutschen, darf teils als eine der Spätfolgen gedeutet werden. „Sorry, I'am not convinced”: Die unverblümte öffentliche Misstrauenserklärung des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer im Februar 2003 gegenüber dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wäre ohne die Prägung der Schröder/Fischer-Generation durch den Vietnamkrieg kaum denkbar gewesen.
 

Es ist von heute aus schwer nachvollziehbar, welch tiefgreifende Veränderung das Amerikabild während der 60er- und frühen 70er-Jahre vor allem unter späten Kriegskindern und bei großen Teilen der ersten Nachkriegsgeneration in Deutschland erfuhr. Eben noch galten die USA als bester Freund, als erste Schutzmacht, als Garant für Wohlstand, Freiheit, Demokratie und Humanität. Dann ließ US-Präsident Lyndon B. Johnson ab 1964 Division um Division in Vietnam einrücken – und von da an nahmen die Nachrichten über Spreng- und Napalmbombardements, chemische Flächenentlaubung, Giftgaseinsätze und Massaker an der Zivilbevölkerung kein Ende mehr.

Der Vietnamkrieg war nicht die Ursache für jenen Generations- und Kulturbruch, der als Jugendrevolte, 68er-Aufstand, APO-, Studenten- und Hippiebewegung Eingang in die Geschichtsbücher fand. Die Abwendung zahlreicher junger Menschen von Selbstverständnis und Lebensart der Väter wäre auch ohne die Schrecken des zweiten Indochinakrieges gekommen; etwas leiser und langsamer vielleicht, aber die Zeit war 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs einfach reif dafür.

Doch das als unrechtmäßig, unmenschlich und imperialistisch empfundene Vorgehen der Supermacht USA gegen das kleine Volk im Entwicklungsland Vietnam brachte ein sehr stark wirkendes Element in die aufmüpfige Jugend der 60er ein: gerechten Zorn – auf eine barbarische Politik, auf ein „System”, das aus purem Macht- und Geschäftskalkül furchtbare Verbrechen an der Menschlichkeit verübte, wie sie in Vietnam offenbar schierer Alltag waren. Im Dschungel und in den Reisfeldern Indochinas verspielte der vormalige Freund USA seine moralische Legitimierung als Führungsmacht und Vorbild.

Der Vietnamkrieg hatte entscheidenden Anteil an der Politisierung und Radikalisierung der damaligen Jugendbewegungen nicht nur hierzulande. Es bildeten sich überall Strömungen, Organisationen, Subkulturen heraus, die nicht allein gegen die US-Politik protestierten, sondern generell gegen bis dahin „normale” Strukturen, Werte, Gepflogenheiten der damaligen Mehrheitsgesellschaft opponierten.

Natürlich waren die Frontstellungen innerhalb der Gesellschaft scharf. Mancher APO-Aktivist, Langhaarige oder Hippie musste sich als Stinktier, Faulenzer, Vaterlandsverräter und Schlimmeres beschimpfen lassen, musste erleben, dass man ihn in die DDR wünschte oder gar „ins Gas”. Der Ton war auch in umgekehrter Richtung ruppig, nicht selten wurde einem bloß konservativen Zeitgenossen das Etikett „Faschist” angehängt. Umbruchzeiten bringen manch unschöne Erscheinung mit sich. Eine der düstersten war die Hinwendung einiger junger Leute zum Linksterrorismus.

Dennoch: Aus den damaligen, vom Protest gegen den Vietnamkrieg befeuerten Bewegungen bekam etwa in Westdeutschland die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und der Kampf gegen nationalsozialistische Erbreste in Staat und Gesellschaft wichtige Impulse. In diesem Umfeld wuchsen auch die Grundlagen für die späteren Friedens-, Sozial-, Bildungsreform- und Umweltbewegungen heran. Aus dem zornigen Protest wurde eine Protestkultur und aus dieser wiederum eine Kultur, die heute das Selbstverständnis der Republik bis in ihre Mitte hinein prägt: Nebeneinander unterschiedlicher Lebensarten gepaart mit dem Bewusstsein, dass Demokratie ohne außerparlamentarische Einmischung in die Politik unvollständig wäre.

Geblieben ist aus der Zeit des Vietnamkriegs auch eine bei vielen tief sitzende Skepsis gegenüber dem politischen und ideellen Führungsanspruch der USA. Nicht ohne Grund.
                                                                                      Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 4. August 2014)


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