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2014-06-25 Theatergespräch:

„Gemach, nicht gleich so viel auf den Mund küssen!”

Gespräch mit Markus Dietze am Ende seiner fünften Saison als Intendant des Theaters Koblenz


ape. Koblenz. Über Koblenz brütet die nachpfingstliche Rekordhitze. Im neuen Anbau des Stadttheaters herrschen indes halbwegs erträgliche Arbeitstemperaturen. Gearbeitet wird in diesen letzten Tagen der Spielzeit 2013/14 noch emsig. Zwar sind die inhäusigen Premieren längst durch. Doch steckt das Theater jetzt in den Vorbereitungen für einen besonderen Brocken zum Abschluss dieser fünften Saison unter der Intendanz von Markus Dietze: das Musical „Hair”, aufzuführen in des Hausherrn eigener Regie ab 10. Juli auf der Festung Ehrenbreitstein.




Weshalb unser Fünf-Jahres-Gespräch mit der Frage beginnt, was denn die Inszenierungsarbeit im Theater von derjenigen für die Festungsbühne unterscheidet. Antwort Dietze: „Hier im Haus kann ich Vieles länger offen lassen; eine Neuproduktion für dort oben aber muss innerhalb einer Woche funktionieren.” Grund für die Eile: „Es ist unser Anspruch, die Festungsproduktion so hinzukriegen, dass die zusätzlichen Kosten durch die Einnahmen gedeckt werden. D.h. wir müssen da auf eine nicht immer kunstfreundliche Art effektiv arbeiten.” Also wird bei den Vorbereitungen alles „sehr genau und quasi autoritär festgelegt”, damit die Probenzeit auf der Festung möglichst kurz bleibt.

Was die Stückwahl für die Festungsbühne angeht, macht er keinen Hehl daraus, dass man angesichts ökonomischer Zwänge sowie wetterbedingter Unwägbarkeiten des Open-air-Betriebes auf Nummer sicher geht. „Damit es schöne Abende werden, müssen wenigstens die 500 überdachten Plätze gefüllt sein.” Also wird zu zugkräftigen Werken gegriffen, von denen man annehmen darf, dass sie auch im Festungsumfeld gut funktionieren. In den Vorjahren waren das „West Side Story” und „Evita”, heuer ist es „Hair”, 2015 „Cats”. Warum nur Musicals? Dietze verweist auf die große Distanz zwischen den meisten Zuschauerplätzen und der Bühne, auf munteres Zwischenrufen gefiederter Festungsbewohner und andere Umwelteinflüsse: „Schauspielerische Intimität ist hier kaum herzustellen, da setzt man lieber auf klare Effekte – macht gute Show auf dieser Allzweckbühne, die sie nun mal ist.”

Wie findet der Intendant die Saison 2013/14 an seinem Theater? „Sehr gut. Punkt. – Vor allem, weil keine Sparte abgehängt wurde, wir überall Dinge hatten, die sehr gut oder sehr speziell und gut waren.” Einwurf unsererseits: Abgesehen vom Knieschuss mit „Barbier von Sevilla”? Pragmatische Antwort: „Spielzeiten, in denen alles klappt, sind am Theater selten. Das ist nicht schlimm, solange man einen Grund hat, irgendwo reinzugehen. Der Oper bleibt immer die Musik – und in diesem Barbier wird fantastisch gesungen.” Im Übrigen: Dietze gehört nicht zu den Theaterleitern, die in Proben hineinzuplatzen pflegen und per Chef-Ordre Regiekonzepte umschmeißen. „Das halte ich für grundfalsch. Es gilt auch im Innenbetrieb der Artikel 5 Grundgesetz – Kunstfreiheit. Natürlich diskutieren wir untereinander, aber die künstlerische Verantwortung für seine Produktion trägt jeder Regisseur selbst; im Guten wie im Schlechten.”
       
Für Dietze geht die fünfte Spielzeit in Koblenz zu Ende. Was ist, wollen wir wissen, von den Vorstellungen und Träumen geblieben, mit denen er einst hierher kam? Nach einer Denkpause sagt er leise: „Ich glaube, eigentlich alles. Ehrlich, ich empfinde keinerlei Verlust von Utopien.” Eine Einschränkung jedoch hinsichtlich der naiv-romantischen Fantasie, man könne diese Stadt und ihr Theater sozusagen im Sturm erobern. „Da muss man dann feststellen, dass die potenzielle Geliebte sagt: ,Nee, mal langsam, nicht gleich so viel auf den Mund küssen'. Dennoch habe ich in den fünf Jahren nichts gemacht, was ich nicht machen wollte.”

Überhaupt sind Erfolg oder Misserfolg beim Publikum kaum planbar oder vorhersehbar. Schostakowitsch' sperrige Oper „Die Nase” wurde wider Erwarten ein Renner; „Lohengrin” hielt Dietze für eine „fast größenwahnsinnige Unternehmung an diesem Haus. Dass es dann so toll werden würde, hätte ich nie gedacht.” Publikumsnachfrage lässt sich über Spielplangestaltung nicht wirklich steuern, meint er. Und einer der wichtigsten Faktoren für starken oder schwächeren Besuch eines Stückes ist Flüsterpropaganda. Zumal in einer Zeit, da in Koblenz wie in der gesamten Theaterlandschaft die Bedeutung der Festabonnements abnimmt und die des Freiverkaufs zu. Dietze ist glücklich, dass im Laufe seiner Jahre die Besucherzahl pro Saison wieder über die
100 000er-Marke reicht. Er ist nicht minder glücklich, dass es inzwischen gelingt, Vorstellungen etwa von „Faust” oder „Macbeth” auch mit reinem Freiverkauf – nicht zuletzt per kurzfristiger Internetbuchung – zu bestreiten.

Gut in Erinnerung sind die Schwierigkeiten, die sich die Dietze-Mannschaft in ihrer ersten Spielzeit mit einem hoch anspruchsvollen Programm überwiegend klassisch-moderner und zeitgenössischer Werke einhandelte. Deshalb die Frage: Musste er damals nicht ordentlich Lehrgeld zahlen? „Ja, ich habe Lehrgeld bezahlt, vor allem emotional; manche Anfeindung war arg. Die Gesamtreaktion war so, dass wir sagten: Das können wir nicht nochmal machen. Aber – ich denke, nur so ging's. Mit einem vorsichtigeren Spielplan beginnen, um dann radikaler zu werden, damit hätten wir nicht so viel erreicht wie andersrum. Das war kein Plan; es hat sich so ergeben und das ist gut so.”

Weshalb man heute eine gewagte Neuinterpretation von „Der zerbrochne Krug” auf die Koblenzer Bühne stellen kann, deren kluge Schlüssigkeit und einnehmendes Spiel Zuseher aller Alterklassen mit großem Beifall anerkennen. So sind sich Publikum und Theatermacher wechselseitig Herausforderung – und beide über die fünf Jahre aneinander gereift. Vor diesen Hintergrund ist es schön, vom Intendanten zu hören, dass an der Finanzfront derzeit Ruhe herrscht und keine weiteren Spareinschnitte fürs Theater dräuen.  „Es gibt immer ein paar Verrückte, denen wieder was einfällt. Aber mit der Verwaltungsspitze gibt es einen guten Konsens: Hier haben wir uns auf eine Finanzierungsstruktur bis einschließlich 2016 geeinigt – und die steht.“  

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
26. Woche im Juni 2014)


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