Kritiken Theater
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2014-05-26a Schauspielkritik:

„Der Kirschgarten” von Tschechow am Staatstheater Mainz. Regie: Sabine Auf der Heyde.


Zum Ende der Ära Fontheim leider nur eine Belanglosigkeit

 
ape. Mainz. Letzte reguläre Schauspielpremiere am Staatstheater Mainz vor dem großen Stühlerücken   vom alten Intendanten Matthias Fontheim zum neuen Markus Müller. Gegeben wird „Der Kirschgarten”, Tschechows tragische Komödie von 1904 über versponnene Gestrige, die von einem neureichen Marktrealisten verdrängt werden. Das hätte als finales und etwas boshaftes Ausrufezeichen hinter dem Motto „Pure Vernunft darf niemals siegen” der letzten Fontheim-Saison durchaus getaugt. Hätte – wenn Gastregisseurin Sabine Auf der Heyde der Klassiker nicht zur Belanglosigkeit zerbröselt wäre.
 

Firs ist weg! Die Rolle des greisen Dieners leichtfertig gestrichen. Keine große Sprechrolle, gewiss. Aber eine wichtige, wie die alte Kinderfrau Marina in „Onkel Wanja” das Geschehen an altvordere Tradition knüpfend. Ohne Firs nagt am „Kirschgarten” die Neigung, aus der Welt zu fallen. Ohne Firs verliert die Herzensbindung der Gutsherrin Ranjewskaja an ihren russischen Stammsitz den über Generationen gewachsenen Wurzelgrund. Es bleibt nur ein nostalgischer Spleen – und damit zu wenig Stoff selbst für die sonst hoch geschätzte Spielkunst einer Julia Kreusch.

Aber Wurzelgrund scheint die Regie so wenig zu interessieren wie Charaktere. Sie missversteht die Kategorisierung „Komödie” als Aufforderung zum schnurrigen Typenspiel mit Bänkelgesang, das mal zu schriller Tortenschlacht, mal zu alberner Heulsuserei ausurfert. Wer das Stück nicht kennt, wird es hier kaum verstehen, und wer es kennt, erkennt es kaum wieder. Ärgerlich ist nicht, dass die Inszenierung kein altrussisches Stimmungspanorama zeichnet. Diese bereits von Tschechow selbst verworfene Lesart ist seit der Bochumer Inszenierung von Karge/Langhoff 1981 weithin perdu. Ärgerlich ist, dass in Mainz von der psychologischen Vielschichtigkeit des Werkes fast nichts bleibt.

Ranewskajas Bruder ist bloß farbloser Trottel, ihre Adoptivtochter hausbackenes Dummchen, das Zimmermädchen notgeile Knallcharge, der Student verbiesterter Möchtegernrevoluzzer und allweil polternd wie Kaufmann Lopachin auch... Das ganze Ensemble spielt weit unter seinen bekannten Möglichkeiten, weil die Inszenierung keine tiefer gehende Reibungsfläche bietet. Dagegen hilft die bemühte Versetzung des Stückes in die Gegenwart durch Kostüme wenig. Dagegen hilft auch nicht, dass der Dehnung von Zeit äußerlich zentrale Funktion zugewiesen wird: Wiederholt schleichen die Protagonisten in Superzeitlupe über die Bühne; in deren Hintergrund lassen drei Mädchen die gesamte zweistündige Aufführung hindurch Minute für Minute mittels Bretter-Umhängung eine großes Digital-Uhrwerk ticken.

Freilich, Zeitdehnung ist ein Wesensmerkmal der Tschechow'schen Stücke über den absehbaren Untergang einer verknöcherten Feudalklasse. Die würde die Zeit am liebsten anhalten, auf dass sich nie etwas ändere – während ihre bourgeoisen Nachfolger die Kirschgärten dieser Welt nicht schnell genug in Profit verwandeln können. Weshalb Ann Heines Uhr-Kulisse sinnträchtiger Hintergrund für dies Stück hätte sein können. Aber es behält eben das alte Gesetz des Theaters Gültigkeit: Was die Schauspieler an Geist, Herz und Atmosphäre nicht erspielen, kann auch das beste Bühnenbild nicht nachliefern. So endet die Ära Fontheim in Mainz leider mit einem „Kirschgarten”, der noch vor der Sommerpause wieder vergessen sein wird.


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 26. Mai 2014)


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