Kritiken Theater
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2014-05-05 Ballettkritik:

Bei Maifestspielen Wiesbaden zu Gast: "Songs of the Wanderers" aus Taiwan

Eine Tanzmeditation der Langsamkeit

 
ape. Wiesbaden. Das ist seit vielen Jahren das Schöne an den Maifestspielen im Wiesbadener Staatstheater:  Man sieht Produktionen aus der ersten Liga der großen Theaterwelt, für die man andernfalls weite Reisen unternehmen müsste. Zwei Abende zu Gast war jetzt eine legendäre Arbeit des zeitgenössischen Tanzfaches: „Songs of the Wanderers” mit dem Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan. 1994 von Lin Hwai-min, dem wohl bedeutendsten Choreografen Asiens, geschaffen, fasziniert das Werk nicht nur ästhetisch. Als eine Art Tanzmeditation der Langsamkeit schenkt es dem Betrachter zugleich 90 Minuten innerer Ruhe.
 


Am Bühnenrand steht den Abend hindurch ein regungslos in sich versunkener Mann. Ein buddhistischer Mönch vielleicht, auf den es in stetem Strom Reiskörner regnet. Reis bedeckt tonnenweise auch den übrigen Bühnenboden. Das sand- bis goldfarben ausgeleuchtete Getreide lässt sich als Symbol des Lebens verstehen. Wenn nachher die Tänzer es mit ihren Körpern durchpflügen, durchwaten, darin baden, es andächtig durch die Finger rieseln lassen oder zu Tropfenkaskaden durch den Raum schleudern, dann umfasst die Körnermasse auch die Einheit von Luft, Erde, Wasser, Feuer.

Gestützt auf lange knorzig Äste wandert die Compagnie durch diese Vorstellungswelt. Das Leben als Reise, von einem Ritual zum nächsten: Hier tänzerisch dem großen Strom gewidmet, da mittels der Stöcke die Bäume ehrend, dort als schierer Derwischtanz mit Feuerschalen reiche Ernte beschwörend. Unendlich langsam sind die meisten Bewegungen. Nicht um eines billigen Slowmotion-Effektes willen, sondern als Ausdruck von Bedächtigkeit im Sinne meditativer Korrespondenz mit einem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschließenden Universum.

Darin finden auch Zweifel, Nur-Menschliches, Leid ihren Platz. Dann ersetzt für  Momente explosives, wildes Ringen Einzelner die in hochkonzentrierter Bedächtigkeit Muskel für Muskel, Glied für Glied aufgebauten Figuren und Ensembles, die der Choreograf aus der asiatischen Tai Chi-, Chigong und Yogatradition entwickelt hat. Zum Ende der Reise ins Innere der Seele von Mensch und Welt stellt ein einsamer „Bauer” die Harmonie wieder her: Gut zehn Minuten lang formt er mit einem Rechen aus den vom Tanz verwirbelten Reismassen eine den ganzen Bühnenboden bedeckende Spirale.

Auf tief berührende Weise wird das sichtbare Geschehen der Produktion von Musik aus einem ganz anderen Kulturkreis durchdrungen: Neun Männer des georgischen Rustavi-Chores singen von einer Seitenloge her uralte, melancholisch getragene Volkslieder ihrer Heimat über die Mühen und das Glück des ewigen Kreislaufes von Pflügen, Säen, Ernten ein. „Songs of the Wanderers” – das ist Kunst in der Gegenwart, die gegen die hektische Leere der Gegenwart eine innerlich fühlbare Brücke zum Urgrund unseres Daseins schlägt.     

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 6. Mai 2014)


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