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2014-04-15 Schauspielkritik:


Ungewöhnlicher Blick auf „Der zerbrochne Krug” am Theater Koblenz


Dorfrichter Adam hat sich
schwer verliebt


 
ape. Koblenz. Es gibt kaum ein deutsches Theaterstück, das im kollektiven Bewusstsein so durch Bilder vorgeprägt ist wie Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug”. Seit den legendären Darstellungen von Emil Jannings, Helmut Qualtinger, Gustav Knuth u.a. glauben wir zu wissen, wie der Dorfrichter Adam auszusehen und welch hinterfotzige Type er zu sein hat. Regisseurin Esther Hattenbach sieht indes bei Kleist keine solche Eindeutigkeit. Sie inszenierte dem Theater Koblenz jetzt eine Deutung, die in einem zentralen Punkt gehörig vom Erwarteten abweicht.
 


Wie verbreitet üblich, ist das Geschehen auch hier denaturalisiert in die Gegenwart versetzt. Das Personal betritt per stürmischer Bootsfahrt und poppigem Schwof einen Bühnenraum, den Geelke Gaycken als Baustelle hergerichtet hat. Dort sitzt Musiker Matthias Mainz hinter Elektroinstrumentarium und webt eine schmückende bis interpretierende Klangebene ins Spiel. Zwischen Erdhaufen unter zwei rätselhaften gigantischen Uhr-Gewichten eine kippelige kleine Plattform: symbolischer Gerichtssaal – Ort der Aufklärung und Vertuschung gleichermaßen, wo jeder Schritt von jedem das ganze Justizia-Gefüge aus dem Gleichgewicht bringen kann. Auf diesem sinnfälligen Wackelgrund entwirft dichtgedrängt das neunköpfige Ensemble ein neues Bild von Kleists Gerichtsverhandlung.

Hier Frau Marthe, den Verlobten ihrer Tochter Eve verklagend, weil er nachts in des Mädchens Kammer einen Krug zerdeppert habe. Da der beklagte, aber unschuldige Ruprecht (Felix Meyer). Dort der wahre Schuldige: Richter Adam, der nun in eigener Sache verhandelt, was außer Eve keiner weiß und wissen darf. Soweit die bekannte Geschichte, die in Koblenz als reihum fabelhaft realisiertes, tragikomisches Kammerspiel auch ohn' alles Beiwerk und reduziert auf das kleine Wibbelpodest funktioniert hätte.

Gemäß der Kategorisierung des Stückes als Lustspiel gibt etwa Raphaela Crossey ihre modernisierte Marthe als tussihafte Gesellschaftssirene, Marcel Hoffmann einen lachhaften Gerichtsrat-Yuppie mit Smartphone-Manie oder Magdalena Pircher die Magd als Kaugummi mampfende Gutelaune-Göre. Kräftig gezeichnete Typen, in ihrer Gegenwärtigkeit recht schlüssig aus den theaterhistorischen Vorbildern abgeleitet.

Eigensinniges Herzstück der Inszenierung ist jedoch die Beziehung zwischen Dorfrichter und Eve. Adams nächtlicher Besuch bei der Maid wurde zumeist als versuchte sexuelle Nötigung durch einen alten hässlichen Bock interpretiert. Matthias Breitenbachs Dorfrichter passt dazu schon äußerlich nicht: Kein Quadratschädel mit Glatze, kein Klumpfuß – stattdessen ein attraktiver Mann in den besten Jahren. Das schafft zwar einige logische Probleme zwischen Text und Szene, eröffnet aber eine spannende Perspektive.

Ob von Kleist gedeckt, darüber lässt sich streiten. Unstrittig aber ist das schaupielerische „Duett”, mit dem Breitenbach und Jana Gwosdeck in poetisch verwobenem, mehrdeutigem Dialog auf die Tatnacht zurückblicken, der schönste Moment des 90-minütigen Abends: Adam in zart-romantischer Verliebtheit zur jungen Frau; Eve in wissender Scheu dafür nicht unempfänglich. Ein an leisen Zwischentönen so reiches Spiel um die Möglichkeit von Liebe sah man lange nicht. Es entschädigt für eine inszenatorische Schwäche zuvor: Die von Kleist wunderbar entwickelte Selbstverstrickung Adams in die Widersprüche als Richter, der Täter ist, bleiben diffus. Vielleicht geht das nicht anders, wenn man ihm statt altersgeiler Lumperei echte Liebe ins Herz legt. Der Koblenzer „Krug”: strittig, aber sehenswert.

Andreas Pecht 


Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 28. April 2014)


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