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2014-04-24 Würdigung:


William Shakespeare - der Dichterfürst

des Abendlandes


Vor 450 Jahren kam der größte Dramatiker aller Zeiten zur Welt


ape. Jede Nation hat ihren klassischen Dichterfürsten, den Ersten unter den Großen der Poetik und/oder Dramatik im Lande. Für Deutschland ist es Goethe, für Russland Puschkin, die Spanier haben Cervantes, die Franzosen Moliere. Doch über allen thront ein in diesen April-Tagen vor 450 Jahren geborener Engländer, der gemeinsamer Dichterfürsten des ganzen abendländischen Kulturkreises geworden und bis heute geblieben ist: William Shakespeare.


Vermutlich aus einfachen Verhältnissen stammend, hat der geniale Dramatiker die Bühnenfiguren aus der Bindung an göttergegebene Schicksalhaftigkeit befreit, an die sie seit dem antiken Theater gefesselt waren. Er ließ sie stattdessen in die Tiefen der eigenen Seele blicken – und dort einen monströsen Giganten von tausenderlei sich permanent wandelnder Gestalt finden: die menschliche Individualität. Damit war Shakespeare nicht nur der Entwicklung des europäischen Theaters, sondern dem Gang der Geistesgeschichte um Generationen voraus.

Gute zwei Jahrhunderte vor Aufkommen der Romantik hat er mit „Romeo und Julia” die romantische Liebe in die Welt gesetzt. Ein junges Paar, das sich seiner gegenseitigen Herzenszuneigung wegen über alle gesellschaftlichen Schranken, ja selbst den väterlichen Willen hinwegsetzt: für das 16. Jahrhunderts eine ungeheuerliche Story. Mehr noch: Rund 350 Jahre vor Sigmund Freud thematisierte Shakespeare die Macht des Unterbewussten fürs menschliche Fühlen, Denken, Handeln. So liegt der Literaturwissenschaftler Harald Bloom wohl nicht falsch mit seiner Ansicht, Shakespeare habe den modernen Menschen erfunden.

Wenn im „Sommernachtstraum” durch schelmische Geisterhand die Objekte der Begierde durcheinander geraten, kann das als humoriges Verwechslungsspiel belacht, aber zugleich als Fingerzeig auf die Wechselhaftigkeit der Libido gedeutet werden. Wenn in „Was ihr wollt” ein zum Jüngling verkleidetes Mädchen bei Gräfin wie Herzog lüstliche Gefühle entzündet, darf das als  Andeutungsspiel mit Möglichkeiten latenter Homosexualität verstanden werden. In „Hamlet” begegnet uns ein vom Ödipus-Komplex zerfressener Prinz, ein Melancholiker, gleichermaßen rational, brutal und verloren.

Wie Hamlet das Gegenteil ritterlicher Heldenfiguren ist, so sind es auch fast alle Herrschergestalten im Shakespear'schen Oeuvre. Die Königsdramen lassen von Gier und Heimtücke geprägte, von Ängsten und Schwachheit getriebene, von inneren Furien gehetzte Charaktere das Walzwerk der Geschichte antreiben. Während bei Konkurrent Christopher Marlowe ein Schäfer mit geistiger und physischer Überlegenheit zum Gründer eines Weltreichs aufsteigt, greifen in Shakespeares Tragödien körperlich und seelisch „defekte” Gestalten nach der Macht und richten Königreiche zugrunde.

Othello lässt sich vom intriganten Jago den Stachel tödlicher Eifersucht ins Fleisch treiben, Macbeth vom Ehrgeiz der Gattin zum Königsmord verführen. Und überall im selbstgestrickten Schicksal lauert der Wahnsinn, wie ihn König Lear als Folge der eigenen Eitelkeit befällt in der wohl erschütterndsten Tragödie der Weltliteratur. Shakespeares Stücke sind ein gewaltiges Universum, das hohe wie einfache Menschen in ihrer individuellen Eigenartigkeit genau betrachtet und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln ausleuchtet.

Besser gesagt: In diesen Stücken reflektieren die Menschen sich selbst und ihr seltsames bis fragwürdiges Miteinander. Fast nie sind die Figuren von vornherein feststehende Typen, sondern sich verändernde Charaktere. Dieses Oeuvre ist ein Universum – und es ist universell, insofern seine Qualität des Erzählens es von zeitlicher und örtlicher Fixierung löst. Shakespeare-Stücke auf der Bühne – ob komisch, tragisch oder wie so oft beides zugleich –, das konnte nie museale Beschäftigung mit anno dunnemals bleiben, sondern ist bis heute stets auf neue Weise interessanteste Befragung der Gegenwart.

Übersetzer, Regisseure, Schauspieler finden im grenzenlosen und allweil mehrdeutigen Shakespear'schen Sprachkosmos noch immer nie erkannte Bedeutungsebenen. Da werden Täter auch zu Opfern, Narren zu Weisen, und umgekehrt. Da sind Frauen das klügere, sinnenfrohere, überlegene Geschlecht, dann wieder boshaft und machtgierig wie Mannsbilder auch. Des Lebens und des einzelnen Menschen widersprüchliche Vielgestaltigkeit hat kein anderer Autor je so umfassend, kunstvoll und zugleich unterhaltend beackert wie William Shakespeare.  

Er packte Jahre in Momente, wechselte Orte und Perspektiven im Fluge – auf der fast leeren Bühne des Londoner Globe-Theaters. Allein gesprochenes Wort und Schauspielerkunst mussten die Fantasie des Zusehers derart anregen, dass er sich der Stücke Welt und Sinn in Gänze vorstellt. Dafür sind diese Werke gemacht und unserer großen technischen Illussionsmaschinen bedürfen sie ureigentlich nicht. Man lasse  Shakespeare von versierten Mimen sprechen und spielen, dann entstehen im Geiste aufmerksamen Publikums ohne weitere Hilfsmittel Kunstwerke mit starker Wirkung – dazu angetan, die stets aktuelle Frage nach Sein oder Nichtsein mitsam Irrungen und Wirrungen Maß für Maß zu überdenken wie es jedem gefällt, auch wenn am Ende selten alles gut wird.    

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 24. April 2014)


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