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2014-04-14a Schauspielkritik:

„Kalldewey, Farce” von Botho Strauss am Staatstheater Mainz. Regie: Marcus Mislin

Psychotherapie als skurriles Lebensmodell

 
ape. Mainz. Premiere „Kalldewey, Farce” im Staatstheaters Mainz. Das Interesse scheint mäßig, viele Plätze bleiben leer. Könnte am Autor liegen: Botho Strauss, gewiss ein Großer der Modernedramatik, aber wegen seiner Verwirrspiele zwischen scheinbarer Realtität, surrealer Einbildung und essayistischer Metaphorik beim breiten Publikum nicht so arg beliebt. Gleichwohl lässt sich Marcus Mislins Inszenierung des Stückes von 1982 gut anschauen. Ob mit Erkenntniszugewinn, sei dahingestellt; doch vergnüglich ist der Abend allemal – und reich an vortrefflichen Spielmomenten.
 

Ines Aldas Bühne ist zugerümpelt mit Möbeln von Urgroßmutters Kommode bis zum neulich noch modernen Couchtisch. Versammelt der bürgerliche Ballast seit Bloßlegung des Unterbewussten durch Sigmund Freud, deponiert in einem Jetzt, dessen Protagonisten sich in permanenter Psychotherapie erleben. Deren Kindheit vertritt hier eine Menge Mobiliar der 1950er/60er: ausgemusterte Platzhalter einer Zeit, da über Schweinsbraten und Cremetorte altvordere Gewissheiten erst zum Greuel wurden, dann vollends abhanden kamen.

Erste Szene: Lynn und Hans trennen sich. Die Regie ruft Nicole Kersten und Gregor Trakis zu überhöhtem Pathos auf fürs Scheidenwollen, aber nicht Loslassenkönnen. Zweite Szene: Lynn holt sich mit dem lesbischen Paar K und M einen Frauenkampftrupp zu Hilfe. Die Regie ruft K und M als Krawallemanzen auf: Andrea Quirbach in cool-giftiger Lederhosenrolle, Lisa-Marie Gerl als kreischordinäres bis heulsusiges Weibchen dazu. Dritte Szene: Die Frauen suchen den liebedienernd herumwuselnden Hans heim, reißen ihn in Stücke wie dereinst Furienweiber manch antiken Helden.

Vierte Szene: Der wieder lebendige Hans und die Damen treffen sich bei Lynns Geburtstag; ein schlüpfrig schwadronierender Herr (Mislin) – „Kalldewey mit Namen, hält brav zurück den Samen” – taucht auf, verschwindet auf geheimnisvolle Weise, wird dann in Abwesenheit zum Guru der Gruppe. Fünfte Szene, in der Zukunft: Hans und Lynn betrachten als Alte in einer Mauerschau das vergangene sinnenleere Gewusel ihrerselbst. Sechstes Szene, wieder im Stückjetzt: Das Quartett spielt als Therapiegruppe in obskuren, teils neuzeitlichen TV-Quatsch nachahmenden Psychritualen Leben. Plötzlich fallen alle aus allen Rollen und verabschieden sich wie ganz normale Leut'. Ende der Sitzung und Vorstellung.

Logisch ist da wenig, eine Farce eben – von Botho Strauss kunstvoll gedrechselt, um die Psychobespiegelungs-Mode der 80er zu zerpflücken. Damals waren die Bürgerkinder gerade aus dem Ashram zurück und fluteten Esoterikwellen ins Mittelklasse-Zentrum. Auch in Mainz macht die satirische Entblößung bierernster Überspanntheit Spaß, zumal sie sich bis in die pointierend verkneifenden oder entgleitenden Gesichtszüge, Stimmen, Gesten der Mimen fortsetzt. Doch selbst das versierte Spiel vermag den Staub nicht wegzuwedeln, der sich über das Stück und die im Subtext herumgeisternde Strauss'sche Gottsucherei inzwischen gelegt hat.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 15. April 2014)


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