Thema Theater 
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2014-04-14 Ballettkritik:

Steffen Fuchs choreografierte am Theater Koblenz Dvoráks „Stabat Mater”



Ballettabend als  berückendes
Gesamtkunstwerk



ape. Am Theater Koblenz hatte jetzt eine in doppeltem Sinne „große” Ballettproduktion Premiere: „Stabat Mater”, choreografiert von Compagnie-Chef Steffen Fuchs nach der Vertonung von Antonin Dvorak. Groß, weil opulent besetzt mit 15-köpfigem Tanzensemble, Rheinischer Philharmonie, Opernchor, Extrachor und vier Gesangssolisten. Groß, weil der 90-minütige Abend eine der kunstfertigsten Ballettkreationen der letzten 25 Jahre auf dieser Bühne ist und in seinen besten Augenblicken auch tänzerisch über die Stadttheaterliga hinausragt.




Einer der faszinierendsten Momente packt den Zuseher noch vor dem ersten Ton. Rory Stead liefert mit einem in Stille beginnenden Solo sein Meisterstück ab. Er beeindruckt nicht durch furiose Sprungbahnen klassisch-künstliche Grandezza, sondern durch echten, tiefen Ausdruck: Aus einer langsamen Kreisbewegung des Armes um den Kopf entfaltet er ganzkörperlich eine Anmutung, die Leid des Leibes und Herzens zu Demut vor der universellen Fragen nach dem Sinn des Daseins finden lässt.


Steads Solo ist ein hochkonzentrierter Prozess. Der füllt erst scheinbaren Stillstand mit einem Gewebe filigraner Minimalistik aus Muskelspannung und Gestus, mutiert mit einsetzender Musik nahtlos zum beseelten, raumgreifenden Strömen. Stellt er Jesus am Kreuze dar? Oder symbolisiert er den Schmerz der Mutter Maria unterm Kreuz, um den es im mittelalterlichen Versepos geht? Die Versuchung ist groß, das Ballett als Verbildlichung des christlichen Textes verstehen zu wollen. Zwar lässt die Choreografie auch diese Freiheit. Doch geht es Fuchs erklärtermaßen darum nicht – und droht sich das ästhetische Erlebnis zu verbauen, wer seine Aufmerksamkeit für die intellektuelle Suche nach szenischer Interpretation der Marien-Mysterien verausgabt.


Es gibt Bezüge, sicher. Da tritt etwa eine Madonna in Krone und prächtigem Ornat auf. Was aber geschieht? Sängerin Monica Mascus entkleidet während ihres wunderbar erdigen Altsolos die Himmelskönigin. Zum Vorschein kommt eine einfache, leidende Frau. In einer anderen Passage formt Asuka Inoue per Spitzentanz eine überhöhte, von Tänzern auf Händen getragene Verehrungsfigur – derweil Kaho Kishinami eine Diesseitsfrau in zorniger Verzweiflung ertanzt.


Teils ist dieses Ballett, mit seiner deutlich gereiften Fuchs'schen Formensprache, absoluter Kunst verschrieben wie eine Sinfonie. Wo es programmatisch darüber hinausweist, hebt der Tanz aufs Menschliche ab. Auch Dorit Lievenbrücks Ausstattung geht in diese Richtung. Die Grundkostümierung zeigt den Chor als Statthalter der religiösen Dimension von Text und Musik in strenger schwarzer Trauerkluft, während die Tänzer in lichten Tuchhosen und T-Shirts oder in Nacktheit symbolisierenden fleischfarbenen Dresses agieren. Die dreiseitig zu einem Kasten geschlossene Bühne ist leer: Kein Golgatha, kein Kreuz – ein Seeleninnenraum, der sich bisweilen öffnet, um den Chor oder wechselndes Stimmungslicht einzulassen.


Die im Laufe des Abends vielgestaltige Lösung der rein menschlichen Sphäre von der altreligiösen wird früh thematisiert. Aus dem Schatten der vier Gesangssolisten schälen sich Gestalten, die tanzend ein Eigenleben entwickeln. Bei der Premiere gibt es noch einen fünften Sänger: Notfallgast Corby Welch, der mit frischem, aber sorgsam gebremsten Tenor die Partie des stimmlich indisponierten, nur noch stumm spielenden Juraj Holly von der Seite einsingt.


Wie der Chor (Einstudierung: Ulrich Zippelius), so sind die Gesangsolisten als mitspielender Aktivposten in die Szenerie integriert. Was der musikalischen Qualität keinen Abbruch tut. Irina Marinas (Sopran) und Evgeny Evastyanov (Bass) komplettieren die zwischen Verhaltenheit und Inbrunst fein ausgewogene Solistenriege. Überhaupt ist schön klingende Ausgewogenheit und stimmungsvolle Präzision ein Merkmal des von Joseph Bousso dirigierten Musizierapparates. Weshalb dies „Stabat Mater”-Ballett als berückendes Gesamtkunstwerk gelten darf.


Zum Finale erneuert ein Tänzer aus der bewegungslos dem Erlösungs-Amen lauschenden Compagnie heraus Rory Steads Eingangsgestus und gibt so einen diesseitigen Sinngedanken mit auf den Weg: Das Ringen um Menschlichkeit wird uns auf Erden begleiten immerdar.


Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 14. April 2014)


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