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2014-03-24 Theaterkritik:


Nur ein weichgespülter „Woyzeck”

Büchner-Klassiker in Mainz als Musical von Wilson/Waits. Inszenierung: Hakan Savac Mican


ape. Mainz. Warum muss man aus Georg Büchners berühmten Schauspielfragment „Woyzeck” von 1836 ein Musical machen? Die Frage stellt sich grundsätzlich; sie ist auch nach der 90-minütigen Premiere jetzt am Staatstheater Mainz nicht zu beantworten. Gewiss: Das Musicalrepertoire hatte anno 2000 durch die Bearbeitung von Robert Wilson sowie die Songs von Tom Waits und Kathleen Brennan ein recht starkes, weil vom gefälligen Romantik-Pop des Genres musikalisch und textlich abweichendes Element gewonnen. Was aber gewinnt „Woyzeck”? Welche Tiefendimensionen des Stückes oder neue Sichtweisen darauf werden mit den Mitteln des Musicals eröffnet? Keine.
 

Es ist ein Glück für die Inszenierung von Hakan Savac Mican, dass das neunköpfige Ensemble nicht aus typischem Musicalpersonal, sondern aus lauter waschechten Schauspielern besteht. Denn die geben in etlichen Passagen „Woyzeck” nach Art des Sprechtheaters. So rauen sie den Weichzeichner-Effekt auf, den die Musicalmanier, gewollt oder nicht, über den Abend legt – und retten ihn vor völligem Abdriften in eine zwar düstere, schlussendlich aber doch bloß rührselige Musikrevue.

Es ist vor allem Felix Mühlen in der Titelrolle, der eine partielle Verbindung zu Büchners Radikalität, zu dessen „Wahnsinn und Obsessionen” (Waits) aufrechterhält. Er gibt den Woyzeck als Volksphilosophen und gleichermaßen als armen, geschundenen Teufel, den die Verhältnisse vor sich hertreiben und schließlich zum Mörder an der geliebten Marie machen. Mühlens Darstellungsansatz würde man gerne gänzlich ausgebreitet in einer reinen Schauspielinszenierung des Stückes sehen.

Ähnliches gilt für die Marie von Ulrike Beerbaum. In die Mutter von Woyzecks Kind legt sie bemerkenswerte Ambivalenzen: Wie ein Mischung aus Brechts Courage und Horváths Karoline ist sie in Armut getreue und zugleich selbstbewusste Proletarierfrau, deren Lust auf Leben sie dann doch in die Arme eines schmucken Tambourmajors wirft. In diesem Tunichtgut lässt Tilman Rose aus strammer Katzbuckelei nach oben besitzergreifende Machoarroganz und brutalen Unterdrückungswillen nach unten erwachsen.

Auch diese beiden Rollenansätze würde man gerne schauspielerisch durchdekliniert erleben.  Dafür aber bleibt im Musical weder die Kontinuität noch hinreichend Raum. Denn ein jeder muss – auf Sylvia Riegers verregneter Leerbühne vor einer angedeuteten Bar names „Wild Thier” – immer wieder aus dem dramatischen Prozess heraustreten, zum Revuetableau antreten und singen. Die Blues- und Jazzsongs von Waits/Brennan sind prima, die fünf Mainzer Livemusiker machen ihre Sache ausgezeichnet. Und das Gesinge der Schauspielercrew dilettiert nach Dreigroschenart zumeist wunderbar knarzig, gröhlig oder piepsig (musikalische Leitung: Enik).

Dennoch verlässt unglücklich das Theater, wer mit „Woyzeck” das subversive, rücksichtslose, aufwühlende Eindringen in die abgründigen Mechanismen einer Schindergesellschaft und von ihr geschundener Kreaturen verbindet. Verglichen mit der Substanz des Schauspiels, kann selbst dieses recht gute Musical davon nur demonstrative Abziehbilder liefern. Die zur Rezeption des Stückfragments wenig beizutragen, außer etwas musikalischen Genuss. Ansonsten widerfährt Büchner hier vor allem eines: Er wird weichgespült.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 24. März
2014)


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