Kritiken Theater
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2014-03-17 Schauspielkritik:

"Die Wildente" von Henrik Ibsen am Theater Bonn. Inszenierung: Martin Nimz

Wahrheitsfanatismus
versus Lebenslüge


 
ape. Bonn. Gutes Theater bewirkt in Kopf und Herz etwas, das über bloßen Genuss hinausgeht. Gutes Theater wirft Fragen an Leben und Haltungen des Zusehers auf, sät Zweifel an seinen und seiner Gesellschaft Selbstverständnissen. Kurzum: Gutes Theater verunsichert und beunruhigt, indem es Welt und Mensch auf andere als die landläufige Art betrachtet. Henrik Ibsens „Die Wildente” ist so ein Stück gutes Theater. Seit 1885 behelligt es das Publikum mit bis heute virulentem Grübeln. So jetzt wieder in einer Inszenierung von Martin Nimz an den Kammerspielen Godesberg des Theaters Bonn.
 

Eine zentrale Frage des Stückes lautet: Wie kann es sein, dass ein Vater seine Tochter 14 Jahre inniglich liebt, sie aber verstößt, als ihm Zweifel an seiner leiblichen Vaterschaft kommen? Eine andere Denkanregung geht so: Ertragen wir die reine Wahrheit über unsere Person und Leistung überhaupt? Oder bedarf nicht jeder eines gewissen Quantums Lebenslüge, um dem Dasein ein bisschen Zufriedenheit abzuringen?

Das Dogma vom vermeintlich naturgegebenen oder heiligen Vorrang der Blutsverwandtschaft gegenüber jeder anderen Menschenbindung ist im ärmlichen Fotografen Hjalmar fest verwurzelt. So fest wie sein  Glaube, er sei genialer Erfinder und fleißiger Versorger seiner Familie aus Gattin Gina, Tochter Hedvig und dem verrückten Großvater Ekdal. In Wahrheit ist Hjarmal ein Traumtänzer, Faulenzer, Maul- und Pantoffelheld; gleichwohl von der Familie nachsichtig umhegt. Seine  Widersprüchlichkeit wird bei Sören Wunderlich zu einer schönen Ambivalenz aus tragischem kleinen Mann und komischem Möchtegern.

Aus den Fugen bringt das Idyll des Fotografen ein Jugendfreund, der Industriellenspross Gregers. Benjamin Grüters Rollenspiel, eine Mischung aus Pathetik und Seelenklempnerei, treibt eine dem Stück seit jeher eigene Wirkung auf die Spitze: Man möchte ausgerechnet diesen für eheliche Ehrlichkeit sprechenden Gutmenschen von der Bühne prügeln. Denn es kann erkennbar nur tragisch enden, Hjarmal mitsamt Angehörigen ihrer Lebenslügen und verspielten Spleens zu berauben – indem fanatischer Wahrheitswahn das Familiendasein als Ergebnis einer miesen Ranküne von Gregers Vater offenbart.

Hauptopfer ist das Kind. Gregers will Hedvig einreden, sie müsse als Liebesbeweis für Hjarmal die von ihr in Pflege genommene Wildente töten. Das Mädchen bringt sich lieber selbst um. Maya Haddad zuzuschauen, wie sie in einer stummen Hedvig-Rolle den dreistündigen Abend mit scheuen, fast autistischen Blicken, Haltungen, Bewegungen zusammenhält, das ist ein großes Theatererlebnis für sich. Ihr Spiel prägt die Atmosphäre. Des Computer-Tablets hätte es nicht bedurft, mit dem sie Bilder wie Geistprojektionen in die Kulisse von Manuel Kolip zeichnet.

Wieder mal meint ein Regieteam, seine Arbeit mit digitaler Bildgebungstechnik aufpeppen zu müssen. Doch die Spielkunst der Bonner Mimen könnte in diesem Fall sehr gut für sich selbst stehen.

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de/

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 17. März 2014)


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