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2014-01-20 Schauspielkritik:

"Urfaust" am Staatstheater Mainz, von Robert Borgmann nur ganz vage "nach" Goethe inszeniert 

Wildes Zappen durch Stücke,
Historie und Stile 


 
ape. Mainz. Was soll das? Was meint das? Worüber will Regisseur Robert Borgmann nachdenken lassen? Szene um Szene erneutes Rätselraten. Weil zwar jede irgendwie mit dem Faust-Thema zu tun hat, doch keine ist, wie von Goethe geschrieben. Weil der zweieinhalbstündige Abend am Staatstheater Mainz zwar den Titel „Urfaust“ trägt, aber weder die Geschichte aus der Frühfassung noch diejenige aus dem nachherigen Bühnenklassiker „Faust I“ erzählt.
 

Was also ist in Mainz zu sehen? Wohlwollend formuliert: Eine szenische Montage aus Splittern beider „Fäuste“, in die Reflexe auf deutschen Geist und Ungeist von dereinst bis heute eingearbeitet sind. Entnervt ausgedrückt: Eine szenisch verworrene Dekonstruktion des „Faust I“ wie des „Urfaust“, die sich aus sämtlichen Schubladen der neuzeitlichen Faust-Interpretation bedient, um einmal mehr Kindsschändung, Frauenunterdrückung, Holocaust und mehr als finstere Kehrseite des Dichter-und-Denker-Landes aufzurufen.

Zum Anfang schleicht eine Trauergemeinde durch die mit Sitzmöbeln, Bücherstapeln, Musikinstrumenten, Birkenwäldchen zugemüllte Düsterbühne von Rocco Peuker. Wer da das Zeitliche gesegnet hat, bleibt unklar. Erst hat man den Eindruck, die Faust-Story werde rückwärts erzählt. Dann kommt doch die vage Ahnung einer bekannten Szenenfolge auf: Studierstube, Frau Martes Garten, Schmuckkästchen in Gretes Zimmer, Liebesakt mit Faust, Grete im Gefängnis.

Jedes Wiedererkennen wird allerdings sogleich durch Fremdeinflüsse gebrochen. In den Goethe-Text mischen sich Volks- und Kinderlieder, Heiner Müllers „Bildbeschreibung“ und andere Fremdtexte. Plötzlich wird „ab 5.45 Uhr zurückgeschossen“, heißt es neudeutschwellig „da,da,da“ oder „macht kaputt, was euch kaputt macht“.  Zeiten, Orte, Ereignisse, Rollen verknäueln sich.

Lorenz Klee ist Mephisto im Priesterrock; er lockt ein kleines Mädchen in den Bühnengraben – taucht in einem Glaskasten wieder auf, den Monolog des in die Enge getriebenen Kinderkillers aus Fritz Langs Filmklassiker „M“ wimmernd, schreiend, auskotzend. Stefan Graf gibt den Dr. Faust und seinen Studiosus in einer Person im Dialog mit sich selbst.

Grete wird mal von einem Kind als Kind gespielt, mal von Monika Dortschy als alte Frau. Meist jedoch übernimmt Carolin Haupt diese zentrale Rolle: hinreißend in einer Mehrfachinterpretation als schüchterne Jungfer, Politemanze, Vamp, schließlich irre gewordene Kindsmörderin. Schauspielerisch wird an diesem Abend allerhand verlangt und manches Bravourstück an Vielseitigkeit geliefert.

Jede Szene mag per se klug erklär- und begründbar sein. Zum faustischen Ganzen indes fügen sie sich nicht. Borgmann scheitert an Goethes Welttheater, weil er die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen diesem und der Entwicklung unserer Welt möglichst umfassend dazupacken wollte. Das Ergebnis ist ein wildes Herumzappen. das auf alles und jedes bisweilen durchaus interessante Blicke wirft, aber ohne erzählerisches Zentrum sich in beliebiger Überfülle verliert – und obendrein in einer Mixture aus Spielstilen von deftiger Barock-Commedia über hohe Klassik bis modisch-schaurigem Splatter ertrinkt. Schade.                                Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 20. Januar 2014)


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