Kritiken Theater
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2013-12-23 Schauspielkritik:

"Gift" von Lot Vekemans am Staatstheater Mainz


Vom Trauern und
der Hoffnung auf Leben


 
ape. Mainz. Was wäre wenn? Wenn mir widerfahren würde, was diese Frau und dieser Mann durchleben mussten? Wie würde ich fühlen, was tun? Könnte ich aus bodenloser Verlorenheit errettet werden, irgendwie weiterleben? Im Mainzer Staatstheater ist mit Lot Vekemans' Stück „Gift“ jetzt jenes Wunder zu erleben, dass leises, kleines, fast handlungsloses Sprechtheater seine Fragen an ein spezielles Schicksal als betroffene Selbstbefragung auf die Zuseher überträgt.
 

Einige Plastikstühle, ein Wasserspender, dahinter geometrische Wandelemente, die heutige Architektur andeuten (Bühne: Martin Gries): schlicht-sachliche Spielfläche für Andrea Quirbach und Stefan Walz auf der Hinterbühne im Kleinen Haus. Aufenthaltsraum eines Friedhofes, in dem sich nach zehn Jahren kontaktloser Trennung wegen einer Amtsangelegenheit die geschiedenen Eheleute wieder begegnen. Damals war ihr Sohn tödlich verunglückt. Über den Kummer hatte erst jeder sich selbst verloren, dann beide einander.

Wie soll, kann man sich nun begegnen? Denn fremd sind sie sich nach so langer Zeit, doch auch vertraut nach einstigen Ehejahren und dem gleichzeitigen Leid. Zwischen ihnen türmt sich all das Unausgesprochene und Nichtverarbeitete auf, das nach dem fluchtartigen Weggang des Mannes an Silvester 1999 als gemeinsame Erblast geblieben ist.

Die ersten der 75 von Nadja Blank inszenierten Minuten sind ein Herantasten mittels Begrüßungsformeln, peinlichem Schweigen, Konversation über Wetter, Äußerliches, Umstände des Anlasses. Quirbach und Walz spielen Realismus, der sich in feinen Nuancen vom bekannt Gewöhnlichen zum abgründig Besonderen dieser Geschichte vorarbeitet. Die schauspielerischen Anforderungen sind hoch, denn das Stück besteht allein aus dem Gespräch zwischen zweien. Deren Kunst ist, ein vielfältig ambivalentes, beiderseits unsicheres Gefühlsgemenge wirken zu lassen und es nicht auf populär-psychologische Griffigkeit zu verengen.

Beide Mimen weben untergründige Schwingungen in ihr Spiel. Da sind Hoffnungen, es möge sich etwas klären, und Befürchtungen, es könne sich nichts klären lassen. Da wabern alte Vorwürfe durch den Raum, grummeln unter der Oberfläche Aggressionen. Da stehen auch zwei Lebensentwicklungen gegeneinander: Er nach Frankreich umgesiedelt, wieder verheiratet, die neue Frau schwanger; Sie nach zehn Jahren zwar nach außen gefasst, aber noch immer völlig im Schmerz um den Tod des Sohnes gefangen.

Regie und Spiel treiben das Gespräch mit sorgsam ausbalancierten Eskalationsstufen über galliges gegenseitiges Missverstehen zu verzweifeltem gegenseitigem Nichtverstehen. Mal will sie, mal er die Unterredung abbrechen. Doch verhindern das Erinnerungen an einst liebendes Miteinander und Füreinander. So kann schließlich die Erkenntnis keimen, dass Schmerz über den Tod des Kindes Teil von beider Schicksal war und bleiben wird, wenn auch auf unterschiedliche Art.

Das Stück hat kein Happy End, kann es nicht haben. Es bietet zum Ende nur einen Augenblick  des Trostes, als die Frau von ihrem Ex-Mann noch einmal gedrückt werden möchte und er ihr ein kleines Lied ins Ohr singt. Ein Lied, das er in Frankreich hörte, dessentwegen er dort in einen Chor eintrat und damit ins Leben zurückkehrte. Ein Leben, aus dem der Schmerz nicht verschwindet, aber sich ein Sinn findet – in unscheinbaren Momenten, die sich existenziell richtig und gut anfühlen. „Gift“ in Mainz: kleines Theater ganz groß und tief berührend.   
                                                                               Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 24. Dezember 2013)


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