Kritiken Theater
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2013-05-25a Schauspielkritik:

"Der Lärmkrieg" von Kathrin Röggla am Staatstheater Mainz. Inszenierung Matthias Fontheim

Die Stadtguerilla zieht in den Lärmkrieg


 
ape. Mainz. Kathrin Röggla hat aus ihrem Jahr als Mainzer Stadtschreiberin (2012) ein Theaterstück hinterlassen, das der scheidende Intendant Matthias Fontheim jetzt als seine letzte Inszenierung am Mainzer Staatstheater auf die Bühne stellte. „Der Lärmkrieg“  befasst sich mit dem Widerstand im Rhein-Main-Gebiet gegen Fluglärm und Frankfurter Airport-Erweiterung. Ein Stoff von so brennender Aktualität, dass Protestaktivisten im Theaterfoyer willkommen sind – und sich nachher vom Zuschauerraum aus teils lautstark ins Bühnengeschehen einmischen.
 


Sind die Sprechchöre und Zwischenrufe von den Rängen spontane Volksstimmen oder inszeniert? Man weiß es nicht, ahnt aber: von beidem etwas. Jedenfalls nimmt der erste Teil des 90-minütigen Abends rasch Formen einer Talk-Veranstaltung an, bei der drei Podiumsdiskutanten es mit renitentem Antifluglärm-Publikum zu tun haben. Das stärkt die Position von Karoline Reinke in der Rolle der Aktivistin, das treibt Zlatko Maltar als Fraport-Funktionär bald zur Weißglut. Als Gast im Talk steht Lorenz Klee zwischen den Fronten. Mal zur einen, mal zur anderen Seite neigend, begleitet er das Geschehen als schlussfolgender Beobachter.

Rögglas Text komprimiert widerstreitende Positionen, Sachlagen, Gutachten, Verwaltungs- und Gerichtsprozesse. Alles dokumentarisch der Realität entlehnt, auf der Bühne indes schiere Absurdität offenbarend, angesichts der Grundkontroverse: profitables Wirtschaftswachstum im Großen und Ganzen versus gesunde Lebensbedingungen für die Menschen am Ort. Stück und Regie behandeln beim Schlagabtausch des Anfangs beide Parteien fast gleichwertig. Jeder kriegt sein Fett weg: Hier wird der Zynismus des Wirtschaftslobbyisten vorgeführt, dort gegen das St. Floriansprinzip wohlstandsbürgerlicher Protestler polemisiert. Und jedesmal rumort' s im Saal.

Doch was immer wieder akustisch durchs Theater donnernde Düsenjets früh andeuten, bricht sich im zweiten Teil Bahn: Das Theater hat mit neutralistischer Bravheit nichts am Hut –  Kunst muss radikal denken. Also wird nun vorgeführt, wie der dauernde Fluglärm nebst zermürbendem Dauerengagement in der Bürgerinitiative die Eigenheimidylle eines jungen Paares zertrümmert und ihre Nerven mit. Gregor Trakis und Lisa-Marie Gerl zeigen pathologische Körpersymptome und werden auf unterschiedliche Weise an ihrem geplagten Dasein irre.

Peu a peu kippt die Inszenierung ins Surreale. Kinder der Lärmwelt geistern als entstellte Schwellkopf-Zombies durch eine düster vernebelte Kulisse. Unsere fünf Protagonisten suchen blind, taub, nach Atem und Begreifen ringend Fluchtweg oder Alternative. Das zieht sich inszenatorisch ziemlich hin – vollendet aber zugleich den Umbruch vom konkreten Polittheater zur radikal gedachten Kunstmetapher: Die Dominanz des Wachstumswahns schafft von Stuttgart über Frankfurt durchs Mittelrheintal und bis Berlin zusehends die Allgegenwart einer enthumanisierten Lärm- und Betonumwelt.

Am Ende sucht das Paar Trakis/Gerl den Befreiungsschlag aus dieser Qual in einer Wiederbelebung der bewaffneten Stadtguerilla. Das ist im Augenblick ein zwar lachhaftes Sinnbild, aber zugleich auch eine bitter-zornige Warnung des Homo sapiens an den Homo oeconomicus. Fontheim hat dem Mainzer Theater zum Abschied wohl keinen großen Wurf, aber doch einen streitbaren und des Streits würdigen Abend geschenkt.
                                                                                 Andreas Pecht 


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 25. November 2013)


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