Thema Kultur / Zeitgeist / Geschichte
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2013-10-28 Essay:

Initiative des Bundes Deutscher Karneval für Anträge bei der Unesco


Helolaulaaf – die Narretei soll Weltkulturerbe werden


ape. Manch einer fragt sich: Welch feuchtfröhliche Runde kam auf diese Schnapsidee? Doch ist's kein Schelmenstreich, kein Narrenspiel. Es gibt sie tatsächlich: eine Initiative, die Fastnacht in deutschen Landen zum Unesco-Weltkulturerbe zu erheben. Wie ernst das gemeint ist, lässt sich daran erkennen, dass der Vorstoß von den Präsidenten des Bundes Deutscher Karneval ausgeht. Von Zeitgenossen also, denen die Fastnacht (auch genannt Karneval, Fasching, Fasnet, Fasteleer...) mehr bedeutet als bloß Spaß an der Freud bei Schunkelage, Witzerei, Kamelle und Trärä.
                                                                       

Womit die Herren nicht falsch liegen. Denn in manchen Gegenden gehört das Fest zum ältesten Teil eines seit Jahrhunderten lebendigen Volksbrauchtums. Demnach darf die Fastnacht durchaus als regionales Kulturerbe gelten. Aber muss sie deshalb gleich auf die Unesco-Liste der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“?

Dort sind schon mehrere, örtlich sehr spezielle Karnevale vertreten. Etwa derjenige in der bolivianischen Andenstadt Oruro mit seinen riesigen kunstvoll geschnitzten Holzmasken und mit Gebräuchen, die widerborstig der Sklaverei spotten, zugleich Aspekte der indigenen Kultur aus vorkolonialer Zeit pflegen. Oder der Karneval im belgischen Binche, der aufs 14. Jahrhundert zurückgeht und mit seinen Gilles-Masken Ähnlichkeiten zur alemannischen Fasnet aufweist.

Die Unesco-Liste beinhaltet obendrein eine Reihe von uralten Masken- und Tanzfesten aus etlichen Kulturen, die sich nicht Karneval nennen, aber doch zwei wesentliche Gemeinsamkeiten mit ihm aufweisen. Erstens: Letztes ausgelassenes Feiern zu Beginn der magersten Jahreszeit nach Mittwinter, wenn Vorratskammern sich leeren. Bei uns entspricht das eben dem Übergang zur Fastenzeit. Vielerorts finden sich dabei rituelle Elemente aus vorchristlicher Zeit zur Austreibung des Winters. Zweitens: Seit der sumerischen Frühantike kennen wir als wichtiges Moment solcher Feste gleichmacherische, spöttische, persiflierende Bräuche: Einfaches Volk schlüpft unter dem Schutz von Göttern und Dämonen frech in die Larve hoher Herrschaften.

Es mag im Vergnügungstrubel von Düsseldorf und Köln über Koblenz bis Mainz und weiter fast vergessen sein: Auch die hiesigen Sessionen stehen in Traditionslinien, die heidnische, christliche, neuzeitliche Gebräuche und Anlässe vermischen wie kaum ein anderes Volksfest. Die Geschichte des Kölner Fastelovend liest sich seit 1341 wie eine endlose Abfolge von Verboten desselben nebst jeweils nachfolgender Renaissance des unausrottbaren Mummenschanzes. Wer immer in Köln herrschte, er musste damit rechnen, dass während der Fastolvends-Tage an ihm kein gutes Haar bleibt und die Ordnung der Stadt gehörig aus den Fugen gerät.

Unterschiedlich ausgeprägt, gilt das für die meisten altehrwürdigen Fastnachtshochburgen. Außerkraftsetzung der Alltagsregeln sowie despektierlicher Spott wider jedwede Obrigkeit gehören zum Kernbestand der Volks- und Straßenfastnacht seit Anbeginn. Im 19. Jahrhundert waren denn am Rhein nicht selten französische und preußische „Besatzer“ Ziel närrischer Stichelei. Wobei  beschränkende Auflagen und wachsendes Karnevalsengagement des Bürgertums das zuvor eher anarchische Narrentreiben in zusehends geregeltere Bahnen lenkte; der Sitzungskarneval ist ein Ausdruck davon. Dennoch: In den satirischen Motivwagen der Umzüge findet die karnevalistische Renitenz-Tradition ebenso ihre Fortsetzung wie in den politischen Büttenreden insbesondere der Mainzer Fastnacht.

So gibt es gute Gründe, den hiesigen Karneval als historisch gewachsenes Kulturgut zu betrachten. Weshalb es nicht abwegig ist, über einen Antrag zur Aufnahme in die Unesco-Liste des immateriellen Weltkulturerbes nachzudenken. Allerdings wirft das einige Probleme auf. Etwa dieses: Es gibt keinen deutschen Karneval an sich, sondern nur verschiedene Traditionen in verschiedenen Regionen. Gemeinsamkeiten zwischen rheinländischer und rheinhessischer Fastnacht ließen sich ja noch herausarbeiten – wenngleich es beiden kaum gefallen würde, in einem Topf zu landen. Aber die alemannische Fasnet etwa passt überhaupt nicht dazu, entstammt einer völlig anderen Entwicklungslinie.

Welche der deutschen Fastnachten soll die Kultusministerkonferenz also bei der Unesco vorschlagen? Welchen der Anträge aus NRW, Rheinland-Pfalz, Bayern oder Baden-Württemberg soll sie sich zu eigen machen? Aus jeweils lokalpatriotischer Sicht ist das natürlich keine Frage, überregional folglich Stoff für allerhand Zwist. Und noch eines gilt es zu bedenken: Der Unesco-Welterbestatus, auch der immaterielle, ist nicht nur Ehre und Wertzeichen. Er ist – trotz aller Freiheit zur Weiterentwicklung – ebenso Verpflichtung, das Authentische, Überlieferte, Originale des Kulturguts zu schützen und zu wahren. Sind die Narren bereit, sich dieser Pflicht zu stellen? Bedenket: Der Welterbestatus ist ein ähnlich zweischneidiges Schwert wie der Vortrag des Till.                                                         Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 11. November 2013)


---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------

Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 

eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken