Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2013-04-15 Schauspielkritik:

"Romeo und Julia" am Staatstheater Mainz.
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson


Die Mainzer Julia muss nicht sterben


 
ape. Mainz. Auf der Bühne dreht sich ein riesiges Baugerüst. Daran hängen Reste von weißem Tuch, als habe Sturm eine Plane zerfetzt. Jósef Halldórssons Konstruktion weckt Assoziationen zum Fliegenden Holländer, dem verfluchten Geisterschiff, das auf ewig die Meere durchkreuzt. Im Mainzer Staatstheater spielt vor, auf, in dieser Kulisse Shakespeares „Romeo und Julia“ – von Thorleifur Örn Arnarsson inszeniert als teils ironisches Spektakel wider den Fluch der ewig hehren Liebestragödie.
 


Bei diesem Schauspiel von 1595 greifen stets Superlative: das meistgespielte seit Jahrhunderten; mehr als 25 Opern und 30 Verfilmungen gibt es davon. Gar heißt es: „Romeo und Julia“ reflektiere kein urwüchsiges Bild von idealer Liebe, sondern habe es erst hervorgebracht und im kollektiven Bewusstsein der Menschheit verankert. Freilich trieben Übersetzer, Interpreten, Theatermacher diverser Epochen der Shakespeare'schen Sprache ihre anzüglichen Doppeldeutigkeiten aus und damit zugleich dem Liebesideal die Fleischeslust.

Arnarssons Inszenierung reiht sich nun ein in die vielen Versuche seit Mitte des 20. Jahrhunderts, das Stück von der prüden Verengung zu befreien, die es vordem insbesondere durch die Schlegel-Tieck-Übersetzung erfahren hatte. In Mainz wird deshalb eine den frivolen Sprachspielen des Dramatikers offensiv nachspürende Übersetzung von Thomas Brasch benutzt – und seitens des überwiegend in gewollt saftiger Typenhaftigkeit spielenden Ensembles noch manche, bisweilen spaßversessene Keckheit draufgesetzt.

Nachdem vorweg eine arg lange Kakophonie aus Musik und Gewalt veronesischen Bürgerkrieg behauptet, kriegt im ersten Teil des knapp dreistündigen Abends der Affe kräftig Zucker. Gregor Trakis und Tilman Rose drehen als Mercutio und Benvolio wie scheinbar improvisierende, kiebig-geile Komödianten mächtig auf. Streckenweise spielen sie Shakespeare nur mehr als Shakespeare-Zitat, dabei mit dessen wiederentdeckten Wortwitz die tradierte Shakespeare-Rezeption auf die Schippe nehmend.

Dieses Prinzip schließt für eine Weile auch die Titelrollen ein. In der Balkonszene fährt Romeo per Gabelstapler zu Julia hinan. Weil die Verliebten in schüchternem Schwärmen nicht recht wissen, was und wie miteinander reden, stottern sie sich mithilfe von Text-Stückchen aus dem Reclam-Heftchen ans erste Küsschen heran. Reclam soll nachher auch in der Hochzeitsnacht als Sprechhilfe herhalten. Aber was bleibt zu bereden, wo doch Leiber sich begehren? Also kauen (sic!) die fabelhaft zwischen großem Gestus und jugendlicher Unsicherheit changierenden Mathias Spaan und Pascale Pfeuti die Textblätter und geben sich wortlos dem Betasten, Entkleiden, Umschlingen hin.

Der alte William hätte mit solcher Machart womöglich ebenso seine Freude wie das zunächst irritierte, dann angetane Mainzer Publikum. Denn trotz Kalauerei und Zoterei kommen die ernsten Komponenten des Stückes nicht unter die Räder. Es ist wie immer bei Shakespeare: Solange noch Reste seines Textes gesprochen werden, bleibt seine ambivalente Tiefgründigkeit unverwüstlich.

Weshalb auch Arnarsson im zweiten Teil vollends bei der Tragödie von dem Mädchen landet, das ein hier gewalttätig herrschsüchtiger Vater (Stefan Walz) an einen Schnösel von Stand (Lorenz Klee) zwangsverheiraten will. Die daraus folgende Scheintod-Verwicklung nimmt ihren bekannten Gang. In der Mainzer Gruft erfährt sie indes eine finale Wendung. Die treibt dem Zuseher Bedenken auf die Stirn, aber auch heimliches Jauchzen ins Herz: Julia reißt die Seite mit ihrer Sterbeszene aus dem Textheft, legt sie an der Rampe nieder – und verlässt lebend den Wirkungsbereich des ewigen Totenschiffes. Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 4. Oktober 2013)

                                                ***

2012-10-15 Schauspielkritik:
Verschnitt von Dantes "Göttlicher Komödie" am Staatstheater Mainz. Regie: Thorleifur Örn Arnarsson



---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken