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2013-09-24 Schauspielkritik:

"Die Jungfrau  von Orleans" am Staatstheater Wiesbaden. Regie: Tilman Gersch


Johanna mit Nacktheit gerüstet

 
ape. Wiesbaden. Es gibt auch heutzutage in Wiesbaden noch einige Theaterbesucher, die eine nackte Johanna d'Arc per se skandalös finden. Interessanter jedoch bleibt der Disput darüber, ob Sybille Weisers erst halbe, dann vollständige Entblößung inszenatorisch sinnvoll ist. Nicht minder drängt die Frage, ob Regisseur Tilman Gersch mit seiner auf 100 Spielminuten und neun Darsteller in 24 Rollen eingekochten Umsetzung Friedrich Schillers „Jungfrau von Orleans“ noch gerecht wird.
 

Große Symbolkulisse im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters. Zum Anfang ein gewaltiger Baumstamm, der durch ein Loch im Himmel bis in göttliche Gefilde reicht (Ausstattung Ariane Salzbrunn). Aus dem irdenen Wurzelgrund wühlt sich Johanna heraus: unschuldig' Mädchen in schwarzem Höschen, zugleich barfüßiges und barbusiges Naturkind. Eine scheinbar Unbedeutende und Schwache zwischen den scheinbar Bedeutenden und Starken. Doch beseelt von innerer, mag sein göttlicher Sendung, beschämt sie Könige und Heermeister mit ihrer Unverzagtheit wider den Feind.

Wiesbaden sieht die Heldin nicht mit schimmernder Rüstung in die Schlacht ziehen. Gewappnet ist sie nur mit einem Tuch, ihrer Fahne. Der Schutz ist dürftig und glanzlos, der zarte Mädchenleib allein auf die Standhaftigkeit der Mädchenseele verwiesen. Als diese nachher für einen Feind in Liebe entflammt, muss sich das Fleisch völliger Entblößung ergeben. So wird die Nacktheit der Johanna zur sinnhaften, auch Schiller'schen Geist tragenden Metapher, und Weises Spiel zum – einzigen – Zentrum des allzu sehr verknappten Abends.

Dieses Zentrum ist ein Faszinosum, weil die Titeldarstellerin die Stärke ihrer Figur aus deren leiblicher Schutzlosigkeit auf der Bühne gewinnt. Sie trägt nicht die Nacktheit mit Stolz, sondern entwickelt Kraft und Stolz trotz Nacktheit. Derart leuchtet das romantische Ideal innerer Größe heller als es glänzender Harnisch nebst Schild und Schwert je könnten.

Drumherum aber verläuft sich die Inszenierung zwischen ruppig verkürzten Erzählsträngen und teils kaum mehr verständlichen Rollenzusteilungen. Wer ist wer, wer gehört zu welcher Partei und kämpft wann warum gegen wen? Zuseher, denen die „Jungfrau“-Geschichte nicht oder nicht mehr präsent ist, dürften auf ziemlich verlorenen Posten stehen. Man muss sehr genau aufpassen, sonst rauscht etwa die Liebesszene zwischen Johanna und Lionel vorbei, bevor begriffen ist, was da Grundstürzendes geschieht.

Das Stück auf eine intensive Ausleuchtung der Johanna-Figur zu konzentrieren, ist legitim. Doch wenn das übrige Geschehen nur noch in ungefähren Andeutungen durchs Halbdunkel wabert, bleibt manch wichtige Dimension des Werkes unverstanden – und gerät der jetzt in Wiesbaden gepflegte Schiller'sche Pathos-Ton ungewollt zur schieren Persiflage. Was Gersch sich dabei gedacht hat, bleibt uns ein Rätsel. Dass der Abend trotzdem halbwegs zusammenhält, ist vor allem der Jungfrau von Sybille Weiser zu danken.                                                                   Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 24. September 2013)


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