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2013-09-09a Schauspielkritik:

Ehemassaker im Höllenkeller


Christoph Mehler reizt in Mainz „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ schmerzhaft aus

 
ape. Mainz. Die Spannung, was dieser erste Schauspielabend der Saison am Staatstheater Mainz  bringen würde, hielt sich vorab in Grenzen. Denn  Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ lässt wenig Spielraum für überraschende Neuinterpration. Und bei Regisseur Christoph Mehler war erwartbar, dass er das ohnehin schwer erträgliche Ehemassaker bis zur schieren Unerträglichkeit auswaiden würde. So ist es auch gekommen. Trotzdem dürfen sehenswerte 105 Minuten attestiert werden.
 

Nach einer Universitätsfeier treffen sich zwei beschwippste Paare privat zum Absacker. Das eine ältlich und saturiert: Professor George und Gattin Martha. Sie empfangen daheim das andere: Jungprofessor Nick nebst seiner „Süßen“. Seit der Uraufführung des Stückes 1962 wird nun zwischen zwei Uhr nachts und Morgendämmer gesoffen, was irgend reingeht und bisweilen oben wieder rauskommt. Anbei zertrümmern die vier Beteiligten jede Benimmkonvention, um sich mit gieriger Lust gegenseitig Geringschätzung, Verachtung, ja Hass in den Hals zu stopfen.

George und Martha sind ihren Gästen in dieser Praxis um Jahre voraus. Sie brauchen also nur Augenblicke, um Nick und die Seine in den Pfuhl ehelichen Vernichtungskrieges zu zerren. Schwer ist das nicht, denn auch im jungen Glück sprießen bereits Verlogenheit, Karrieregeilheit, Dünkel... Ein paar Gläser Schnaps, ein paar zynische Spitzfindigkeiten, ein paar erniedrigende Enthüllungen – gleich stecken die vier bis zum Hals in jener Hölle, die Albee als Wahrheit aus der amerikanischen Ideologie vom ewigen Eheidyll herausgeschält hat.

Spielte das Stück anderwärts meist in wohlstandsbürgerlichen Wohnzimmern, so auf Jochen Schmitts Mainzer Bühne in einem grauen, leeren Kasten unter der Erde. Ein trister Ort, über dessen Wände beim Aktwechsel Schreckensbilder aus Brueghels Todsünden-Zyklus flimmern. Hölle eben, in der Höllenqualen bereitet werden und zu erleiden sind. Mehler lässt das im Spektrum zwischen schlimm und ganz schlimm realisieren: Das Ensemble spielt sich von gallenbitterer Explosivkonversation über sturzbetrunkenen Gemütsstriptease bis zum hämischen Verzweiflungs-Sex die Seele aus dem Leib.

Das geht an Grenzen, das tut weh, das quält – Protagonisten wie Zuseher. Nicht zuletzt weil es in dieser radikalen Konsequenz schlüssig inszeniert ist und reihum großartig gespielt wird. Gregor Trakis und Nicole Kersten vergeben sich als George und Martha in ihrem aus unterschiedlichem Leid geborenen Zynismus nichts. Beide sind sie Täter und Opfer zugleich, sind es unter dem Anspruchsdruck der Normideale von Familienglück und Berufserfolg geworden.

Nick steht da noch am Anfang, weshalb Stefan Graf seine Figur erst peinlich berührt bis fassungslos in die  Abgründe stieren lässt. Dann aber krempelt er die Ärmel hoch, lässt die Hosen runter und stürzt sich mit Verve hinein: dort unten und zwischen den Schenkeln Martas den Weg nach ganz oben vermutend. Zurück bleibt seine Süße. Sie ist die bemitleidenswerteste Figur im perfiden Gesellschaftsspiel, weil sie – abgefüllt, leergekotzt, wieder abgefüllt – nicht mitkriegt, was hier eigentlich vor sich geht. Lisa-Marie Gerl gibt die junge Frau als Bündel aus ordinärer Haltlosigkeit und erbarmungswürdiger Hilfsbedürftigkeit.

Ein entsetzender Abend – über entsetzliche Potenziale des alltäglich Wahnsinns.                                      Andreas Pecht               


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung in leicht gekürzter Fassung außerhalb dieser website  am 09. September 2013)


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