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2013-09-09 Schauspielkritik:

Doppelter Mephisto treibt
doppelten Faust



Goethe-Klassiker am Theater Koblenz in einer klugen wie herausfordernden Inszenierung von Markus Dietze

 
ape. Koblenz. Mit Goethes „Faust“ (1) in einer Inszenierung von Intendant Markus Dietze eröffnete das Theater Koblenz jetzt die neue Spielzeit. Der gut dreistündige Abend bietet in Fülle, was heute von anspruchsvoller Interpretation eines Schauspielklassikers erwartet werden darf: Irritation überkommener Erwartungen und Sehgewohnheiten; Anstöße zum Nachdenken über Stück und Welt;  Anrührung durch sinnliches Spiel.
 

Freudiges Wiedererkennen und Befremden gleichermaßen zu Beginn. Das „Vorspiel auf dem Theater“ ist hier mal nicht gestrichen. Doch statt Goethe-Text legt die Regie vier Schauspielern  einen modernen kultursoziologischen Essay von Dirk Baecker auf die Zungen. Komplexe Intellektualität, von der man auf Anhieb kaum mehr begreift, als dass dem Theater eine besondere Rolle zukommt für die Gesellschafts- und Selbstwahrnehmung des Zusehers. Die Nachlektüre im Programmheft erhellt: Dietze grundiert so seine Arbeit mit einer  Weiterentwicklung der Goethe'schen Grundsätze.

Riesig auf eine Leinwand projiziert, zeigt dann der „Prolog im Himmel“ zwei Männer im Zwiegespräch, die sich nachher als gedoppelter Mephisto herausstellen. Jeder führt bald Gottestext („Kennst du den Faust?...“), bald den späteren Religionsdialog zwischen Grete und Faust („Glaubst du an Gott?...“) im Mund. Gott und Teufel sind nicht mehr unterscheidbar. Damit wird auf moderne Art ein tiefenpsychologisches wie antikes Leitmotiv vorgegeben: widersprüchliche Einheit von Gut und Böse, die jedem Menschen eigen ist. 

Jona Mues und Reinhard Riecke geben den Doppel-Mephisto in sehr genauer Zwillingschoreografie. Mal sprechen sie den Rollentext chorisch, mal als Dialog. Winzige Unterschiedsnuancen im Spielausdruck machen den einen zum Zyniker, den andern mehr zum Lakoniker, beide zusammen zum teuflischen Anheizer gegenläufiger Wünsche im zerrissenen Innern des Doktor Faust.

Auch die Titelfigur ist, naturgemäß, gedoppelt. Alter Faust im Studierzimmer: Georg Marin trefflich vergrämt, einem 60er-Jahre Tonbandgerät die Vergeblichkeit seines Forschens diktierend. Junger Faust, der nach Teufelspakt und verjüngendem Hexentrank zur Genusstour in die Welt zieht: David Prosenc, feinsinnig ein Spannungsgefüge aus Berechnung, Begierde und Liebessehnen ausformend.
Doch in Koblenz sind beide „Fäuste“ fast permanent präsent. Will sagen: Was in jung und alt geteilt scheint, sind sich wechselseitig bedingende Vergangenheit und Gegenwart einer Biographie, einer Persönlichkeit.

In diese tiefgründige Schwere bricht die blutjung Magdalena Pircher mit der leisen, aber wirkmächtigen Natürlichkeit eines einfachen Mädchens. Eben von der Schauspielschule kommend, spielt sie eine Grete, die um Balance zwischen liebendem Hingebenwollen und tugendhafter Ängstlichkeit gegenüber den denkbaren Konsequenzen ringt. Stark – weil leise, zart, aber vielschichtig differenzierend – das mimische Spiel und das Sprechen des neuen Koblenzer Ensemblemitglieds. Der Körpergestus dieses erkennbaren Talents muss freilich noch wachsen.

Dorit Lievenbrücks wechselnde Bühnenbilder strahlen auf faszinierende Weise Beengung und Offenheit zugleich aus, bilden für Dietzes Regieansatz ideale Räume: Gut und Böse, Gestern, Heute, Morgen, Äußerlich- und Innerlichkeit sind untrennbar miteinander verwoben. Dem entspricht auch die Inszenierung der Walpurgisnacht als Kehrseite des Frühlingsfestes: Hier wild kostümiertes Feiervolk bei künstlich gepuschtem Event fürs Reality-TV; dort nackte Menschenleiber, die der Teufel mit blutroten Kreuzen markiert, auf dass sie von Faust's Hand gefällt werden.

Ja, dieser Koblenzer „Faust“ ist eine Herausforderung. Aber hatte Goethe mit seinem größten Bühnenwerk je etwas anderes im Sinn? Anschauen!                                                                 Andreas Pecht        

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einer etwas kürzeren Fassung außerhalb dieser website  am 09. September 2013)


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