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2013-06-24 Vorbericht:

 

Das Landesmuseum Koblenz
ist wieder da

Neue Ausstellung zum Kernbereich Technikgeschichte: „Zündende Ideen – Marken aus Rheinland-Pfalz“


 
ape. Koblenz. Brigitte Schmutzler, Direktorin des Landesmuseums Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein, macht keinen Hehl daraus: „Diese Ausstellung ist ein Provisorium und ein Experiment.“  Bei unserem Rundgang einige Tage vor Eröffnung am 29. Juni fällt auch mal das Wort „Baustellenausstellung“. Tatsächlich ist das Erdgeschoss von Hoher Ostfront und Landbastion im Grunde eine Baustelle. Von Decken und Wänden ist der Putz abgeklopft, Versorgungsleitungen liegen offen. Verblüffender Effekt indes: Die Fluchten aus jetzt steinsichtigem, nacktem Gemäuer entfalten einen ganz eigenen „Festungs-Reiz“. Sie bieten der neuen Ausstellung „Zündende Ideen – Marken aus Rheinland-Pfalz“ ein ungewöhnliches, aber die Aufmerksamkeit schärfendes Umfeld.



Das „Mutterhaus“ des Landesmuseums steckt seit Abschluss der Bundesgartenschau Koblenz 2011 (BUGA) in einer baulichen Generalsanierung, die noch Jahre dauern kann. So lange aber wollte man mit der Reaktivierung des technikhistorischen Kernbereiches, auf den das Koblenzer Museum mit wesentlichen Teilen seiner Sammlung ureigentlich abonniert ist, nicht warten. Wieso Reaktivierung? Weil dieses Themenfeld während der BUGA keine Rolle spielte, war die alte Dauerausstellung schon im Zuge der Gartenschau-Vorbereitungen ins Depot gewandert. Das Landesmuseum ging im BUGA-Jahr 2011 und im Folgejahr 2012 quasi in der Gesamtpräsentation der Festung auf. Und obwohl am Ausstellungsangebot aus Grabkultur, Lenné, Haus des Genusses und Archäologie maßgeblich beteiligt, wurde es als eigenständige museale Institution doch kaum mehr wahrgenommen.

Dieses dem Ausnahmezustand Bundesgartenschau geschuldete „Schattendasein“ endet nun mit dem Einstieg in die Entwicklung einer neuen Dauerausstellung. Erster Schritt ist die jetzige „Baustellenschau“, die zugleich eine Neukonzeptionierung des technikhistorischen Aufgabenkerns des Hauses skizziert und erprobt. Das zentrale Stichwort dabei lautet „Marken aus Rheinland-Pfalz“. Darin kommt einerseits die Erweiterung des Blickwinkels vom nördlichen Landesteil auf das gesamte Bundesland zum Ausdruck. Andererseits öffnet das Konzept „Marken“ ganz neue Blicke auch auf alte Sammlungsbestände: Es geht dabei um teils weltbekannte, hochbedeutende Erfindungen, Techniken, Produkte, die ihre Wurzeln in rheinland-pfälzischen Köpfen und Traditionsunternehmen haben.

Wer die Ausstellung durch den Portikus betritt, stößt zuerst auf vier Räume, die den regionalen Rahmenbedingungen für das Wirtschaften hierzulande gewidmet sind. Da werden naturräumliche Gegebenheiten abgeklopft, Bodenqualitäten und Rohstofffvorkommen ebenso beleuchtet wie historische und gesellschaftliche Entwicklungen von der Frühzeit bis ins Bindestreich-Land-nach dem zweiten Weltkrieg. Dabei ergeben sich zugleich zahlreiche Bezüge zum klassischen Sammlungsbestand des Museums. So zur Geschichte von Fotografie, Buchdruck, Rundfunk, Weinbau oder Keramikherstellung.

Diesem Prolog folgt in 13 Abteilungen die nähere Beschäftigung mit 13 Unternehmen, die während der letzten 200 Jahre mit dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz verbunden waren. Im ersten Alkoven stoßen wir beispielsweise auf die Firma Fissler. 1845 in Idar-Oberstein als Klempnerei gegründet ist sie päter zu einem bis heute namhaften Hersteller von Töpfen und Pfannen herangewachsen. Neben einem Kochgeschirr-Querschnitt aus mehr als 150 Fissler-Jahren ist da eine Gulaschkanone ausgestellt. Grund: Die fahrbare Feldküche wurde 1892 von eben dieser Firma an der Nahe erfunden. Zu den handfesten Exponaten gesellen sich Informationen über die Geschichte der Firma nebst Wendepunkten und weiteren Erfindungen.

Anbei befasst sich eine Nebenpräsentation mit Idar-Oberstein als einem traditionellen Zentrum der Edelsteinverarbeitung. So wird eine Brücke geschlagen vom konkreten Unternehmen Fissler zu einem übergeordneten Thema. Dieses Prinzip zieht sich durch alle Abteilungen. Die achte Station etwa ist dem Pirmasenser Schuhhersteller Peter Kaiser gewidmet. 1838 als Schuhmacherwerkstatt gegründet, entwickelte sich daraus rasch eine weltweit vermarktende Schuhfabrik. Die hat das Sterben der Pirmasenser Schuhherstellung im späten 20. Jahrhundert überlebt und gilt heute als die älteste noch existierende Schuhfabrik Deutschlands. Die in diesem Fall angeschlossene Nebenpräsentation untersucht ausgehend von Pirmasens das Phänomen des Niedergangs ganzer Industriezweige im Zeitalter der Globalisierung.    

An den Raum über das ZDF ist eine Betrachtung zum Medienland Rheinland-Pfalz angeflanscht, an den Ehrenbreitsteiner Flugzeugbauer Bücker das Thema Kriegswirtschaft, an den Nähmaschinenhersteller Pfaff die Geschichte der Frauenarbeit. Wer ist noch dabei? Böhringer Ingelheim, Mainzer Schott Glaswerke, Schottel-Werft Spay, der Koblenzer Instrumentenbauer Mand, der Bopparder Möbelschreiner Thonet, der Winninger Autoingenieur und quasi Audi-Urvater August Horch sowie der Neuwieder Mechaniker Franz Xaver Wagner, dessen Typenhebel-Konstruktion 1890 den weltweiten Siegeszug der Schreibmaschine forcierte. Jüngster im Bunde ist die 1976 gegründete Firma Ehl-Beton in Kruft als Beispiel für eine moderne Fortentwicklung auf Basis der hiesigen Bims-Tradition.

Und wieder gibt es jedesmal den Brückenschlag: Von der mit interessanten bis beeindruckenden Originalexponaten untermauerten jeweiligen Unternehmensgeschichte zu weiteren übergeordneten Themen wie Arbeitsmigration, Design-Entwicklung, Wandel von der Einzel- zur Serienfertigung etc. Dies vielfach verbunden mit Erläuterungen zur Sozial- und Kulturgeschichte. Das Landesmuseum Koblenz ist wieder da – mit einem Provisorium zwar, aber das bietet Geist und Sinnen über die nächsten eineinhalb Jahre schon allerhand.      Andreas Pecht          

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
Woche 26 im Juni 2013)

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