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2013-06-22 Ballettkritik:

"Ballett Roulette" am Staatstheater Wiesbaden: Ein sehr starker Jungchoreografen-Abend

Vor junger Energie
knisternde Tanzkunst


 
ape. Wiesbaden. An den Theatern Koblenz und Mainz hatten Mitglieder der Ballettcompagnien unlängst ihre choreografischen Versuche jeweils hinter dem Eisernen Vorhang vor kleinem Publikum präsentiert. Wiesbaden hingegen bietet seinem Nachwuchs nun die größtmögliche Kulisse: das Große Haus des dortigen Staatstheaters. Mit neun Kreationen, knapp drei Stunden Dauer und mehr als 20 Tanzakteuren fällt der „Ballett Roulette“ betitelte Abend  auch deutlich opulenter aus als die Präsentationen der rheinland-pfälzischen Kollegen.
 


Und wie steht's mit der künstlerischen Qualität bei den Hessen? Nicht ganz neidlos müssen wir einmal mehr anerkennen: Ballettchef Stephan Thoss hat da zurzeit eines der besten Ensembles nördlich des Stuttgarter Balletts und südlich von Martin Schläpfers Düsseldorfer Compagnie beisammen. Das schlägt sich auch in der jetzigen Nachwuchsproduktion nieder. Die ist nicht bloß  Talentschau, sondern der vielleicht interessanteste und schönste Ballettabend überhaupt, den wir in der auslaufenden Saison vom Main bis zur Mosel erleben durften.

„Suche nach Glück“ hatte Thoss als übergeordnetes Thema ausgegeben. Taulant Shehu eröffnet den Reigen mit einer hinreißenden Choreografie für vier Männer und vier Frauen über das Spannungsgefüge zwischen Lebensangst, Lebenswünschen und Lebensfreude. In diesem meisterlichen Einstieg finden wir konzentriert, was in unterschiedlichster Ausformung auch die folgenden Arbeiten prägt: Feines Gespür für die stimmige Verschmelzung verschiedener zeitgenössischer Ballettstile zu dynamischen, ausdrucksmächtigen, sinnesfreudigen und doch stringent strukturierten Bewegungsflüssen teils höchster Schwierigkeit und Dichte.

Die jungen Leute haben keine Scheu vor großen Formationen. Der Wunsch nach Gemeinsamkeit in der Gruppe scheint für sie formal wie inhaltlich besonders bedeutsam. Bei Romy Liebig wird daraus eine Arbeit für zehn Tänzerinnen, die an zehn Tischen mit der Bürde fraulicher Alltagspflicht ringen und sich schließlich kollektiv dagegen auflehnen. Maria Eckert geht die Glückssuche anders an: Zwei Schatten befreien sich aus der Trostlosigkeit eines engen Kämmerchens, finden im lichten Raum Zusammengehörigkeit mit anderen.

Hier, wie in Frank Fannar Pedersens „Vera“, gelingt vielfach das Kunststück, Kollektiv- und Individualausdruck miteinander zu verweben – Spannungen zwischen beidem inklusive. Damit sind die Tänzer bei dem Verlangen ihrer Generation nach Individualität und gleichzeitigem Aufgehobensein in einer sozialen Community. Die damit verbundenen Ambivalenzen finden sich in den beiden großartigen Pas de deux wieder, die Valeria Lampadova und Ludmila Komkova  choreografiert haben. Da ringen Sehnen und Begehren nach Nähe, Liebe, Lust mit dem Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Bei Abenden junger Choreografen fast obligat: das avantgardistische Techo-Experiment, in Wiesbaden beigesteuert von Kihako Narisawa; und natürlich die Spaßelemente, hier vertreten durch Matthew Tusas knuffige Hotel-Humoreske und Anton Rudakows Musikpersiflage teils in Form eines furiosen Sitzballetts. In summa ein Abend, bei dem der Zuseher bald mit offenem Mund staunend, bald zu Tränen gerührt sich der Verführung durch eine vor junger Energie knisternde Tanzkunst von hohen Graden hingeben kann.                    Andreas Pecht


Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 22. Juni 2013)

                                                 ***

Besprechungen der Jungchoreografen-Abende unlängst in Koblenz und Mainz:

2013-06-13 Ballettkritik:
Tänzer des ballettmainz kreieren interessante Choreografien


2013-05-21 Ballettbesprechung:
"Tanzt ... Nacht!", choreografische Versuche von Tänzern in Koblenz


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