Quergedanken Nr. 101
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2013-06-20 Kolumne/Glosse:
 
     
  Seilbahn-Torte
  mit
  Irrtümern

 

ape.
Potzblitz, da war vielleicht was gebacken neulich! Ein paar Tausend Mittelrheiner auf den Barrikaden. Prima, lobenswert. Wenngleich mir einige Umstände auch etwas seltsam vorkamen. In vorderster Front, schunkelnd und ein Karnevalslied schmetternd, die vereinigte Honoratiorenschaft. Vom Genossen Hofmann-Göttig tollkühn angeführt wie dereinst das Franzosenvolk von Marianne. Nur dass der Koblenzer OB die Jakobinermütze verschmähte und sich im Gegensatz zur Pariser Revolutionärin mit züchtig geschnürtem Leibchen in den Aufstand stürzte gegen – – – wen eigentlich?

Spaß beiseite. Das Unesco-Welterbekomitee hat bei seiner Jahrestagung in Phnom Penh einem Weiterbetrieb der Koblenzer Seilbahn bis 2026 zugestimmt. Damit scheint alles im Lot auf dem schunkelnden Boot. Mit dem Abbau der Barrikaden müssen aber zugleich Gäule wieder eingefangen werden, die einigen Mittelrheinern in der Zeit des Aufruhrs durchgegangen waren. So das „Missverständnis“, es handle sich bei der Unesco-Tagung in Kambodscha um eine Versammlung vorzeitlicher Khmer-Häuptlinge, die eine Diktatur über den Mittelrhein ausüben wollten. Tatsächlich waren es Delegierte aus aller Welt, darunter auch deutsche. Die kommen an jährlich wechselnden Orten zusammen; 2010 war's Brasilia, 2011 Paris, 2012 St. Petersburg. 

Nächstes Missverständnis, das aufgeklärt werden sollte, weil engagiert für oder gegen etwas streiten ja nicht erfordert, das Hirn an der Garderobe abzugeben: Liebe Leute, die Unesco will und kann uns gar nix „verbieten“, „vorschreiben“, „aufzwingen“. Sollten wir demnächst wollen, können wir Autobahnen in die Talflanken sprengen, von Koblenz bis Bingen eine Schwebebahn in den Rhein bauen oder jede Burg mit einer Dauerkirmes ausstatten. Das einzige, was die Unesco tun kann und auch muss, ist: prüfen, ob solche Einrichtungen noch mit den Kriterien für den von ihr verliehenen Welterbestatus vereinbar sind. Falls nicht, müsste sie als zertifizierende Organisation uns das Zertifikat aberkennen.

Das ist vom Prinzip her ein als logisch einzusehender Vorgang, wenn man mal die Perspektive wechselt. Angenommen, Italien wollte eine Aussichtsbrücke über das Kolosseum bauen oder Ägypten die Spitzen der Gizeh-Pyramiden mit einer Schwebebahn verbinden. Touristökonomisch wären das wohl Attraktionen höchster Effizienz, allerdings würden wir zurecht aufschreien: „Die spinnen, die Römer, und die Ägypter haben nicht alle Tassen im Schrank. Unser aller Kulturerbe derart zu verschandeln: das muss die UNO verhindern!“

Stimmt. Gilt aber auch für die eigene Nase. Man kann die Unesco nicht dafür beschimpfen, dass sie ihre Pflicht tut und die Sachlage prüft. Sollten dabei wirtschaftliche Lokalinteressen weniger gewichtet werden als manchem lieb ist, liegt das in der Natur des Welterbestatus – den der Mittelrhein wollte, der ihm nicht von der Unesco aufgezwungen wurde. Womit wir beim größten, hier seit Jahren gepflegten  „Missverständnis“ wären: Dieser Status sei in erster Linie als wirkmächtiges Marketinginstrument gedacht. Stimmt aber nicht. Oberster Zweck der Welterbekonvention war immer: Schutz, Erhalt und Pflege des kulturellen Menschheitserbes. Das muss man sich vergegenwärtigen, wenn wir alsbald über die Welterbeverträglichkeit neuer Projekte streiten. Schlusswort von Freund Walter: „Und das kommt – so sicher wie noch vor 2026 Subventionsbedarf bei der Seilbahn. Wetten?“    



(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
26. Woche im Juni 2013)
                                            

hier Zugriff auf sämtliche "Quergedanken" seit 2005

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Zum Thema Seilbahn noch eine Anmerkung:
 

Es ist überflüssig, dem Jubelchor über den Unesco-Bescheid noch eine weitere Stimme hinzuzufügen, zumal ich selbst zur Seilbahn eine eher distanzierte Position vertrete. Wichtiger war es mir, in den "Quergedanken" einmal mehr an das grundlegende Ziel der Welterbekonvention und den eigentlichen Zweck des Welterbestatus zu erinnern.

Dies vor allem, weil im öffentlichen und veröffentlichten hiesigen  Meinungsfuror der vergangenen drei Wochen deutlich geworden ist: Man missversteht den Welterbestatus hierorts vielfach als bloßes Wirtschaftsförderungsinstrument und touristisches Marketingmittel für die Region. Mehr noch: Von einem Teil der Öffentlichkeit wurde/wird das dem Welterbestatus eigene Ansinnen, bei der Strukturentwicklung der Region Sorgfalt im Sinne des Landschafts- und Denkmalschutzes walten zu lassen, als wirtschaftsfeindliche Zumutung gesehen. Einige Leute wünschten Icomos, Unesco, Welterbe und den "ganzen bescheuerten Denkmalschutzkram" gleich vollends zum Teufel. Vor dem Hintergrund solch diffuser Meinungsmelange könnte der jetzige Unesco-Entscheid missbräuchlich gedeutet werden: als Freibrief für ein uneingeschränktes Primat kommerziell orientierter Entwicklungen im Mittelrheintal. So aber hat das Welterbekomitee seinen Beschluss gewiss nicht gemeint.

Man wird in nächster Zukunft an zwei Beispielen sehen, wie ernst die Funktionsträger am Mittelrhein es selbst mit der Pflege ihrer heimischen Landschaft und Denkmäler meinen. Erstens: Die Talstation der Koblenzer Seilbahn ist (ziemlich unstrittig auch bei vielen Seilbahn-Befürwortern) in ihrer jetzigen baulichen Ausformung ein unangemessener Störfaktor im denkmalgeschützten Bereich St. Kastor/Deutsches Eck. Das kann man dem Architekten nicht mal vorwerfen, denn Bahn und Station waren ursprünglich ja nur als temporäre Einrichtung für drei Jahre gedacht. Nun aber, mit der Betriebsverlängerung, sollte ein angemessener Rück-/Umbau der Talstation eigentlich selbstverständlich sein. Zweitens: Bei der in Planung befindlichen Hotelbebauung auf dem Loreley-Plateau sollte es für die Genehmigungsbehörden selbstverständlich sein, auf größtmögliche Zurückhaltung bei Dimensionierung, Positionierung und Charakter der Neubauten zu bestehen - oder auf neue Hotels an dieser Stelle ganz zu verzichten.   (ape)    

 

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