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2013-04-15 Schauspielkritik:

"Die Gerechten" von Albert Camus am Staatstheater Mainz.
Regie: Dominique Schnizer

Das Dilemma gewalttätiger Widerstandsaktion

 
ape. Mainz. Spürbar hochkonzentriert verfolgte jetzt das Premierenpublikum im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz ein Stück, das die inneren Konflikte einer russischen Terroristengruppe anno 1905 verhandelt: „Die Gerechten“ von Albert Camus. Dominique Schnizers Inszenierung versetzt mit Bühne und Kostümen von Christin Treunert das Geschehen zwar in die Gegenwart, verkneift sich ansonsten aber jeden modernistischen Schnickschnack. Sie bleibt bei der diskursiven Kammerspielanlage Camus', stützt diese durch unprätentiöse, dichte Charakterskizzen der Beteiligten.
 

Bei Terror denkt man heute zuerst an islamistische Anschläge. Doch darum konnte es dem Autor 1946 nicht gehen. Darum geht es auch dem Regisseur anno 2013 nicht; er zielt wohl eher vor dem Hintergrund jüngster Protestbewegungen weltweit auf die Auseinandersetzung mit ethischen Grundfragen gewalttätigen Widerstandes. Camus richtete den Blick noch auf die radikalste Abart sozialrevolutionärer Bewegung der Neuzeit: den anarchistischen Terrorismus, der seit den 1870ern mit hunderten von Attentaten in Amerika, Asien, Europa und vor allem Russland quasi als Vorbote der Revolutionen des 20. Jahrhunderts für Unruhe sorgte.

Die fünf Verschwörer im Stück stecken in einem Dilemma, das auch heutige Zuseher berührt, obwohl ihnen diese sektiererische Sphäre fremder kaum sein kann: Die Untergrundzelle will per Bombenattentat den Großfürsten töten und so ihren Beitrag leisten, die Tyrannei des Zarenregimes ins Wanken zu bringen. Ein gerechtes Ziel, dem die Aktivisten ihr Leben weihen, dessentwegen sie sich einer eisernen Disziplin unterwerfen. Doch Janek (Christoph Türkay) bringt es im ersten Anlauf nicht über sich, den Sprengsatz zu zünden – denn in der Kutsche des Fürsten sitzen auch zwei Kinder.

Es entbrennt im Kellerversteck nun ein bewegender Disput: Heiligt das gerechte Ziel alle Mittel – inklusive Kollateralschäden bis hin zur Opferung Unschuldiger? Nur für den von der zaristischen Polizei zuvor gefolterten Stepan (Aram Tafreshian) ist die Antwort klar: Weil wegen dieser zwei Kinder der Fürst noch lebt, werden weiter tausende Kinder der Armen verhungern. Stepans Genossen hingegen ringen mit sich: Wie könnten wir für ein besseres, freies Leben des Volkes mit Morden, gar der Ermordung Unschuldiger kämpfen?

In der Gruppe brechen weitere Widersprüche auf. Bei Alexej (Tilman Rose) ist es der zwischen Begeisterung für die Sache und  Angst vor der Tat. Den Zellenleiter Boris (Stefan Graf) quält die Kluft zwischen Verantwortung für das Gelingen der Operation und Verständnis für die Gefühle seiner Leute. An Dora, der einzigen Frau in diesem Kreis, macht sich der Widerspruch zwischen revolutionären Pflichten und Bedürfnis nach Leben/Lieben auch bei Revolutionären fest. Pascale Pfeuti lässt in dieser Figur den inneren Konflikt besonders deutlich werden, den auch ihre Mitspieler unterschwellig stets mit sich tragen: eine schmerzhafte Ambivalenz aus Härte und unterdrückter Bedürftigkeit.

Beim zweiten Anlauf tötet Janek den jetzt allein fahrenden Fürsten. Der Attentäter wird verhaftet. Ein freundlich tuender Polizeipräsident (Marcus Mislin) bietet ihm Begnadigung gegen Verrat der Genossen, die fromme Großfürstin (Jele Brückner) Begnadigung gegen Reue. Doch Janek lässt sich lieber hinrichten als sein Ideal zu verkaufen. Ein Irrsinn das alles, gewiss. Von Camus allerdings mit Blick auf die folgenden Revolutionen und Kriege zur Diskussion gestellt als „Zeitpunkt, wo der Geist der Revolte zum letzten Mal in unserer Geschichte dem Geist des Mitleidens begegnet“. Und in Mainz mit ernstem, deshalb packendem Sprechtheater aufgegriffen.   Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 29. April 2013)


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