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2012-06-05 Schauspielkritik:

"Nora" von Henrik Ibsen am Staatstheater Mainz


Fontheims Inszenierung schlägt
die Brücke zu heutigen Fragen
 

 
ape. Mainz. Atemlos, noch in Winterjacke und mit Wollmütze,  quetscht sich eine verspätete Zuschauerin in die erste Reihe. Gleich wird der Vorhang aufgezogen, dann steigt die junge Frau aus dem Publikum heraus ins „Puppenheim“ hinein. Sie ist eine von uns – eine heutig Ausgabe der Titelfigur aus Henrik Ibsens  „Nora“. Matthias Fontheim hat den seit jeher als Emanzipationsstück verstandenen Klassiker von 1879 jetzt in einer eigenen, kräftig modernisierten Textfassung fürs Große Haus des Mainzer Staatstheaters inszeniert.
 

Wie schon bei Ibsen im 19., herrscht auch bei Fontheim im 21. Jahrhundert Naturalismus vor. Michael Rütz hat für die Bühne ein heutiges Domizil Marke obere Mittelklasse nachgebaut: offenes Parterre aus Wohn-, Koch-, Essbereich nebst Treppe zu einer Galerie, von der aus es zu den Zimmern der drei Kinder geht. Die werden von einem Kindermädchen versorgt, derweil eine Haushaltshilfe den Staubsauger schwingt. Nora und ihrem Thorwald geht es materiell sichtlich gut: Er ist eben zum Bankdirektor aufgestiegen, sie freut sich auf neue Geldzuflüsse und hat schon mal ordentlich Weihnachtsgeschenke eingekauft.

Das Spiel beginnt als wohlstandsbürgerliches Eheidyll. Es endet nach drei Stunden mit Noras Selbstbefreiung von einem Gatten, der Liebe und Partnerschaft missversteht als Hingabe der Ehefrau an seine Wünsche und Gelüste, seine Lebensideale und Karriereziele. Heißt in diesem Fall: Sie soll den Haushalt ordentlich dirigieren, die Kinder in Zaum halten, ihm nicht auf die Nerven gehen, aber ihn allweil als sein „sexy-geiles Mäuschen“ umturteln, umturnen, umsorgen.

Thorwald wird hier als eine Art moderner Patriarch vorgeführt. Stefan Walz balanciert ihn trefflich zwischen Extremen: Mal wirkt sein Umgang mit Nora zärtlich, fürsorglich, nonchalant; mal wird er autoritär ausfällig oder reduziert mit scheinbar liebkosenden Verbalattacken die Frau auf das von ihm abhängige Püppchen. Dieser Thorwald geriert sich als Mann von heute, hat aber die  Rolle des  Herrn im Hause als Selbstverständlichkeit verinnerlicht. Damit ist die Inszenierung ganz nahe bei Ibsen, obgleich nach Wortwahl, Sprech- und Spielweise eindeutig in unseren Tagen verortet. Wozu die in Mainz signifikante Erotisierung Noras durchaus passt – bis hin zum heimischen Tabledance im Reizwäschekostüm.

Funktioniert diese Übertragung des Ibsen'schen Puppenheims auf die Gegenwart? Je nach persönlichem Erfahrungshorizont des Zusehers mag einem die Schärfe der Figuren- und Beziehungszeichnung eher plakativ überspitzt oder doch realistisch erscheinen. Das gilt in besonderer Weise für die Titelfigur selbst. Pascale Pfeuti gibt Nora als eine Frau, die einerseits äußerlich in der Moderne steht. Die aber andererseits im Grunde noch immer bis zum Halse in der Rolle des selbstlos liebenden, dienenden, gefallen wollenden Gattenschatten steckt – und deshalb mit bisweilen fein herausgespielter Erkennbarkeit von Widerwillen „freiwillig“ tut, was man(n) von ihr erwartet.

Karoline Reinke (Linde), Marcus Mislin (Rank) und Zlatko Maltar (Krogstad) wirken in teils arg phlegmatischer, teils zynischer bis verbiesterter Überzeichnung als Katalysator für das sich verschärfende Ehe-Geschehen. Das schließt mit einem geharnischten Showdown am Küchentisch: Nora erkennt, dass sie ihren Ehemann und Vater ihrer Kinder so wenig gekannt hat wie sich selbst. Sie wirft die Puppenhülle ab und geht weg von diesem „Fremden“. Ein bewegender Abend, der die Brücke von Ibsen zu jenen Fragen schlägt, die wir dieser Tage wieder heftig diskutieren.                                                              Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 4. März 2013)


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