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2013-02-13 Analyse

Sexismus-Debatte: 

 

Die Vorherrschaft des Mannes
neigt sich dem Ende zu

Die Zeit war reif für einen großen Disput
über alltäglichen Sexismus


ape.  Am 24. Januar erschien im „stern“ ein Artikel über Rainer Brüderle unter der Überschrift „Der Herrenwitz“. Auf 60 der 380 Porträt-Zeilen erzählt die 29-jährige Autorin Laura Himmelreich über eine von ihr offenkundig als unangenehm empfundene Begegnung mit dem 67-jährigen Politiker. Unangenehm, weil der „FDP-Hoffnungsträger“ nicht ihre journalistischen Fragen beantwortete, sondern ihr stattdessen mit schlüpfrigem Süßholzgeraspel kam. Der kleine Text löste in Deutschland eine neue Sexismus-Debatte von ungeahnter Heftigkeit und Breite aus.                     
               
Anfangs wogte die Debatte zwischen den Polen „Fall Brüderle“ und „fragwürdiger Journalismus“. Doch dieser auf parteipolitische Skandalisierung zielende Hype verlief sich bald. An seine Stelle ist eine gesellschaftliche Diskussion jenseits aller Parteigrenzen getreten, die auch nach dem Abebben der medialen Erregungswelle anhält: über alltäglichen Sexismus gegen Frauen.

Frage: Wie kann es sein, dass 60 schmale Zeilen über Herrn Brüderles lächerliche Anmache eine bundesweite Grundsatzdiskussion auslösen?  Antwort: Die Zeit ist einfach reif für diese Debatte. Das 19. Jahrhundert war in der Frage der Frauenemanzipation geprägt vom Ringen um die Bürgerrechte auch für Frauen. Das 20. Jahrhundert brachte dann etwa mit dem Wahlrecht, dem Recht auf Bildung oder dem Recht auf Erwerbstätigkeit die formale gesetzliche Gleichstellung der Frau. Doch von der juristischen Norm zur realen Lebenspraxis ist es ein weiter Weg.

Noch immer werden verbreitet Frauen bei gleicher Qualifikation und Leistung schlechter bezahlt als Männer, sind höhere Ebenen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft von Männern dominiert. Noch immer wird Mutterschaft viel zu selten als Elternschaft und als Herausforderung für Gemeinwesen- und Wirtschaftsstruktur begriffen. Noch immer sind Frauen im Alltag gezwungen, sich unerwünschter bis erniedrigender männlicher Anmache zu erwehren. Noch immer stellt auch Gewalt gegen Frauen ein Problem dar – wenngleich es ein Fortschritt ist, dass sie inzwischen im Gesellschaftsbewusstsein als verachtenswertes Verbrechen gilt.

Gott sei Dank gibt es heute viele Frauen, die sexistischen Zumutungen in Wort und Tat auch mit Wort und Tat entgegentreten. Gott sei Dank gibt es heute nicht wenige Männer, die sich zu benehmen wissen und Frauen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Die alten Geschlechterverhältnisse bröckeln schon seit Jahrzehnten, die Herrschaft des Mannes über die Frau neigt sich dem Ende zu. Gut so. Aber nicht jede Frau hat die Möglichkeit, die Kraft, die Courage, schmieriger Anbaggerei Paroli zu bieten oder von Männerseite mit sexistischen Anzüglichkeiten geführte Machtkämpfe durchzustehen. 

Dass Frau sich überhaupt wehren muss, dass noch heute fast 40 Prozent der Frauen im Berufsleben Sexismus ausgesetzt sind, das ist ein trauriger Befund. Weshalb es nur eine Frage der Zeit war, bis das Missverhältnis zwischen dem wachsenden Gewicht der Frauen in allen außerhäuslichen Bereichen und dem Mangel an Respekt vieler Männer für das de facto gleichwertige, de jure gleichberechtigte andere Geschlecht explodieren würde. Dass jetzt das Benehmen Brüderles zum Zündfunke wurde, ist eher Zufall. Unter anderen tagespolitischen Konstellationen hätte die Rolle irgendeinem einem anderen jener Politmannen zufallen können, die sich allweil für unwiderstehlich halten – und/oder chauvenistisches Verhalten als Waffe benutzen.

Die Sexismus-Debatte nimmt bisweilen seltsame Züge an. Da werden Bedenken vorgetragen, fortan  stehe jeder Flirt unter Generalverdacht, werde das Verhältnis der Geschlechter einer Prüderiediktatur unterworfen. Doch darum geht es gar nicht. Es geht um Anstand, um Respekt, um ein Mannsverhalten, das Frauen nicht auf ihr Geschlecht reduziert, sondern als gleichwertige Persönlichkeiten behandelt. Freilich, die Natur hat uns die schönen Reiz-Reaktions-Mechanismen des Sexus mitgegeben. Die Zivilisationsgeschichte ist aber nicht zuletzt eine Geschichte von deren kultivierter Zähmung: Auf dass soziale Gemeinschaft möglich sei, ohne dass wildwüchsige Kopulationsbegierden automatisch jede Zusammenkunft beherrschen.   

Es steht keineswegs das Flirten unter Generalverdacht, sondern das Missverständnis, man könne, solle, dürfe das „Objekt der Begierde“ auch wider dessen Willen „erobern“, gar „im Sturm nehmen“. Schon die Benutzung militärischer Begriffe zeugt von einem verqueren Verständnis der Geschlechterannäherung. Viele Männer verunsichert diese Debatte. Was durchaus kein Schaden ist, denn Verunsicherung ist der erste Schritt hin zum Überdenken eigener Positionen.

Was folgt daraus? Mächtige Männer müssen sich die absurde Annahme abschminken, für Untergebene selbstredend stets unwiderstehlich zu sein. Ähnliches gilt für alte Männer im Hinblick auf sehr junge Frauen. Jeder Mann muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass Flirten ein sensibles Werben um Einverständnis auf gleicher Augenhöhe sein soll – und nicht Feldzug zum Zwecke des Eroberns und Beherrschens. Alle Männer müssen begreifen, dass in der beruflichen Zusammenarbeit Frauen als gleichwertige Kolleginnen in der Sache zu behandeln sind....

Übrigens: Mit fortschreitender Gleichstellung der Frau gelten solche Regeln auch für sie. Denn Frauen sind nicht per se die besseren Menschen. Aber in der augenblicklichen Geschichtsepoche geht es nunmal zuerst um die tatsächliche Beendigung der Mannsherrschaft. Und auf dem Weg dorthin ist die jüngste Sexismus-Debatte ein weiterer Markstein, hinter den es ein Zurück nicht gibt.                                       Andreas Pecht

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 15. Februar 2013)
  

                                               ***

Siehe zum Themenkomplex Frauenemanzipation auch:

2007-03-05 Vortrag:
Zur Kritik der Gegenemanzipation - Anmerkungen zur Diskussion um demographischen Wandel, Familien- und Ehekrise sowie aktuelle Gebärpropaganda


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