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2013-02-05 Schauspielkritik:

Christoph Mehler inszenierte Horvath's
"Kasimir und Karoline" am Schauspiel Frankfurt


Eine schlüssige Sauerei
 

 
ape. Frankfurt. Es war erwartbar, dass Regisseur Christoph Mehler in Frankfurt bei „Kasimir und Karoline“ kräftiger hinlangen würde als unlängst Michael Lippold in Bonn und zuvor Christian Schlüter in Koblenz. Seine lautstarken Mainzer Einrichtungen von „Endstation Sehnsucht“ und „Vor Sonnenaufgang“ sind noch in Erinnerung. Und schließlich verlangt Ödön von Horváths Volksstück über die scheiternde Liebe zwischen Kasimir und Karoline an zentraler Stelle nach einem Hemmungen und Benimm wegspülenden Oktoberfest-Saufgelage.
 

Foto: Schauspiel Frankfurt/Birgit Hupfeld

Äußerlich erfüllt die 90-minütige Produktion im Schauspiel Frankfurt die Erwartungen. Alkohol fließt in Strömen durch Kehlen, über Köpfe, Leiber, Fußboden. Der Kommerzienrat (Sascha Nathan) lässt sich lüstlich vors Schaukelpferd spannen und von Karoline vorwärtspeitschen. Drei Trinkkumpane grölen das Lied vom „Alten Peter“, dabei mit nackten Hintern auf der Bierbank hockend. Die ganze Bagage beschmeißt den armen Kasimir mit Tomaten. Kurzum: Jochen Schmitts an die Vorderbühne gedrückte Kulisse aus Holzplattenwand zwischen zwei Kirmesautomaten ist bald so verwuzt wie die sieben Schauspieler.

Hier bloß Lust an Krawall und Gematsche anzunehmen, wäre indes verfehlt. Getreu dem Ansinnen Horváths verweigert Mehler das Verharmlosen der Verrohung am unteren wie oberen Ende der Sozialskala. Ebenso verweigert er das pittoreske Verschönern trunkener Ausschweifung. Man kann, je nach Wahrnehmungshorizont, darin Überspitzungen heutiger Amüsierkultur sehen oder genaues Hinschauen auf deren Exzesse: So oder so aber hat die Sauerei auf der Bühne ziemlich viel mit aktualisiertem Realismus zu tun.        

Hinzu kommt, dass die Suff-Extreme fungieren als ernüchternder Gegenpol zum allfälligen Romantikidyll der großen Liebe. Zum Beginn der Vorstellung werden Großaufnahmen von Kasimir und Karoline auf den Eisernen Vorhang projiziert. Inniglich schauen sie sich an, zart küssen sie einander: Zu süß-pathetischer Zärtlichkeitsmusik versinnbildlichen die beiden so das Sehnen nach glückseliger Zweisamkeit – in Form des verlogenen Liebeskitsches aus den Traumfabriken.

Doch die Verhältnisse sind nicht so, die Menschen also auch nicht. Weshalb Mehler die Realität als eine zeigt, die Elendssuff und bourgeoise Verkommenheit zu einer Oktoberfest-Sauerei paart. Anbei erhält Fortschrittsgläubigkeit einen Tritt: Wo anfangs – im Rückgriff auf das Entstehungsjahr des Stückes 1932 – der Vorbeiflug eines Zeppelins am Hinterbühnen-Horizont das Festpersonal in Entzücken versetzt, hängt zum Schluss der Trümmerhaufen eines modernen PKW-Kabrioletts in der Luft.

So rüde, laut, brutal die Inszenierung sein mag, so stimmig ist sie in diesem Fall. Dazu trägt die teils grandios umgesetzte, eigentümliche Spielweise des Ensembles bei: Nach Manier der Commedia dell'arte schrill überzeichnet, wird eine scharfgeschnittene und deshalb schier schmerzhafte Komik serviert. Der Kasimir von Viktor Tremmel ist ein Proll, der mit Krakeel Leid überspielt. Sandra Gerling gibt Karoline als Naivchen, die nichts tut, sondern mit der gemacht wird. Dem famosen Zuschneider von Isaak Dentler entgleiten fortwährend Beine wie Grimassen, während Oliver Kraushaar seinen Merkl Franz als rechtes Mannsbild von Drecksack auftreten lässt.  Andreas Pecht

Infos: >>www.schauspielfrankfurt.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 5. Februar 2013)

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Frühere Besprechungen von Inszenierungen Christoph Mehlers:

2012-06-16 Schauspielkritik:
"Vor Sonnenaufgang" gerät in Mainz zur Schrei-Orgie. Regie: Mehler


2012-02-21 Schauspielkritik:
Tschechows Drama "Iwanow" am Schauspiel Frankfurt inszeniert von Christoph Mehler


2011-06-10 Schauspielkritik:
Williams'  "Endstation Sehnsucht" in Mainz. Regie: Christoph Mehler


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