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2012-12-17 Ballettkritik:

"Inferno" von Pascal Touzeau: Unterkühltes ballettmainz im biblischen Himmel und in der Dante'schen Hölle


Variationen des Immergleichen


 

ape. Mainz. „Die ihr hereinkommt: Lasst alle Hoffnung fahren!“ Das steht in Dantes „Göttlicher Komödie“ über dem Eingang zur Hölle. In der neuen Ballettproduktion von Pascal Touzeau am Staatstheater Mainz passt der Satz allerdings auch auf den Himmel. Was dort zwischen zwei kahlen Paradiesbäumen unter dem Titel „Die Erschaffung Adams“ im ersten Abendteil abgeht, schafft eine ebenso triste Düsternis wie der nachherige Höllenteil „Inferno“.



Foto: Martina Pipprich

Mancher, der vorab die Erläuterungen des Choreographen im Programmheft liest, mag sich später ärgern, dass er es tat. Touzeau schreibt von Inspirationen durch die biblische Genesis und Dantes Großwerk. Was beim Zuseher dazu führt, dass er den Tanz durchsucht nach Bildern, Anmutungen, Erzählmomenten, in denen sich Beziehungen zu den Vorlagen manifestieren. Die finden sich in der Musik (vom Band), etwa dem „Miserere“ von Henryk Górecki oder dem „Alleluia“ von Sofia Gubaidulina. Die finden sich auch in der eingesprochenen Schöpfungsgeschichte: „Die Erde aber war wüst und wirr....“.


Im Tanz selbst aber bleibt die Bindung ans behauptete Thema bestenfalls vage. Je näher man dem endlosen Strom kleinteilig verwirbelter Ballettfiguren tritt, umso bedeutungsloser erscheinen Bibel und „Göttliche Komödie“ dafür. Je mehr man nach Echos des Themas im Tanz Ausschau hält, umso diffuser die Wahrnehmung der per se respektablen Leistungen der Compagnie. Guter Rat geht hier so: Der Betrachter vergesse den gedanklichen Überbau und lasse sich auf 90 Minuten abstrakte Tanzkunst ein. Davon hat er was, auch wenn die Schwächen dieser Arbeit noch schärfer zutage treten.


Die da wären: Touzeau verweigert einmal mehr Konzentration, Schwerpunktsetzung, dramaturgische Spannung, emotionale Aufladung bei der Ausbreitung seines Formenrepertoires. Es bleibt bei einer kühlen, polyphonen Reihung von dicht verwobenen Figuren im dominierenden Forsythe-Stil. Das sind jede Menge Hochleistungen – die aber im Herzen des Betrachters leider gar nichts auslösen. Kein szenisch-intellektueller Rahmen kann dem Ballett zu Beseeltheit verhelfen, die muss nunmal primär aus dem Tanz selbst kommen.


Ans Personaltableau im Programmheft gehalten, ist Gott in Mainz eine Frau: Anne Jung. Wie alle anderen nichtmenschlichen Wesen hier – Engel/Teufel (Takako Nishi) und die Toten in der Unterwelt – tritt sie mit zugeklebten Augen, mithin augenlos auf. Augen haben nur die Lebenden: Eva und die sechs Adame, in die Touzeau den ersten Menschen noch im Paradies aufspaltet; später Beatrice und Dante als Besucher der Hölle.


Zu den wenigen herausstechenden Momenten des Abends gehört Anne Jungs Art des Tanzens: Sie erweitert den Forsyth'schen Tenor um ruckende Gliederknickungen nach Art der Vögel und Reptilien. Zusammen mit der Augenlosigkeit macht das Gott quasi zum Alien. In zwei Passagen setzt Cristina Ayllón Panavera das Prinzip Fraulichkeit dagegen: Mal lässt sie solistisch die lebenslustige Verführerin aufscheinen, mal im Pas de Deux mit Guillaume Hulot (Dante) die zwischen Höllenhorror liebenden Trost Suchende. Von den Schrecknissen selbst ist nichts zu sehen: Selbst die Vorstellung davon verliert sich in elegisch dahinwabernden Variationen des Immergleichen. 

                                                                                Andreas Pecht



Infos: >>www.staatstheater-mainz.com/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 17. Dezember 2012)

                                                 ***

Besprechungen von Mainzer Touzeau-Choreografien in 2012:

2012-10-08 Ballettkritik:
ballettmainz gefällt mit einem neuromantischen "Schwanensee"


2012-04-16 Ballettkritik:
ballettmainz brilliert mit Kyliáns "Indigo Rose" , langweilt mit Touzeaus „360º“

 
2012-02-06 Ballettkritik:
"Voices" beim ballettmainz. Choreographien von Pascal Touzeau zu Musiken von Peteris Vasks


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