Thema Altertümer / Historie
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2012-10-26 Feature:

 

Eine Zeitreise zur Sayner Hütte


Industriedenkmal in Bendorf bei Koblenz will UNESCO-Welterbestätte werden

Gießhalle Sayner Hütte
 Foto: Gerd Neuwirth
 
Wir schreiben das Jahr 1830. Seit dem Wiener Kongress 1814/15 haben die Preußen im Rheinland das Sagen, inklusive Mittelrhein bis hinauf nach Bingen. Und sie machen da einen so  gehörigen Wirbel, dass dessen Folgen wohl noch in Generationen die Gegend prägen werden. Nicht nur, dass die preußische Hochwohlgeborenschaft jede Menge Handwerker rekrutiert, um die Ruinen hiesiger Mittelalterburgen aus dem Dornröschenschlaf zu reißen und schmuck herzurichten. Zugleich sind in ihrem Auftrag tausende Schaffensleut' damit beschäftigt, ganz Koblenz in eine gewaltige Festungsanlage wider den Franzos' zu verwandeln.

Wonach rufen Konstrukteure, Bauführer, Militärs allweil? Nach Bauholz und Mauerstein natürlich. Aber jetzo nicht minder auch nach dem neuen, industriell gefertigten Gusseisen und Stahl. Rohre, Schienen, Träger, Beschläge werden in Mengen benötigt, dazu Armierungen, Kanonen und Granaten. Was also brauchen die Preußen, möglichst nahebei? Eine Eisenhütte. Die gibt es hier schon lange: Gegründet anno 1769 vom Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus am unteren Ende des Sayn-Tals zu Füßen der Stammburg der Grafen von Sayn. Betrieben wird sie mit dem Wasser des Saynbachs, beschickt mit Eisenerz und Holzkohle aus dem Westerwald. Weshalb von Wald bis hinauf ins Kannebäckerland und noch viel weiter bald keine Rede mehr sein kann. Über die Höhen pfeift der Wind so kalt – weil sie fast kahl sind. Die Bäume werden für den Fortschritt verfeuert und verbaut. 

Doch war die Kapazität der kurfürstlichen Hütte noch gar zu gering für die neue, eisenhungrige  Zeit. Zumal die Preußen obendrein ihre ganze Rheinprovinz von hier mit Gebrauchseisen jedweder Art  beliefern, und der Rest der Welt auf die angesehenen Kunstguss-Preziosen aus Sayn erpicht ist. Also gab Berlin baldig den Befehl zum  Ausbau der Hütte – und hat man just in diesem Jahr 1830 eine nagelneue Gießhalle nebst Hochofen in Betrieb genommen.

Damit ist die Sayner Hütte nach den Eisengießereien in Berlin und Gleiwitz die bedeutendste im Reiche ihro Majestät des Königs von Preußen. Und was ihre Bauart angeht, die modernste auf dem europäischen Kontinent. Denn bis dato hat nirgends jemand ein Gebäude wie diese Gießhalle mit in eigener Produktion vorgefertigten Säulen, Stützen, Bindern, Streben aus Gusseisen gebaut. Es gibt bescheidende Vorläufer in England, die des preußischen Staates Oberarchitekt, der Herr Karl Friedrich Schinkel, bei einer Reise 1826 eingehend studierte. Schelme insistieren, er habe dorten spionieret und hernach die Planungen des Hütteninspektors Carl Ludwig Althans für den Sayner Neubau mit fremden Federn beflügelt.  

Wir schreiben das Jahr 2012 und erkennen im Rückblick: Die Althans'sche Gießhalle war mit ihrer an Mittelalterkirchen angelehnten Form aus überhöhtem Mittelschiff und Seitenschiffen sowie der großen neugotischen Glasfront nicht nur ein ästhetisch ansprechendes Gebäude. Mit ihrer (feuerfesten) Bauweise – tragende Konstruktion aus vorgefertigten Eisengussteilen – wurde sie zugleich zum Protoyp, nach dessen Vorbild im weiteren Verlauf der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts zahllose Fabrikbauten weltweit entstanden. So unscheinbar die 1926 stillgelegte – dann teils verfallene, teils abgerissene, teils in den 1970ern gerettete und restaurierte – Hütte im heute beschaulichen Sayntal auf den ersten Blick wirken mag: Tatsächlich handelt es sich um ein Industriedenkmal von enormer Bedeutung.

Deshalb hat die rheinland-pfälzische Landesregierung im Sommer 2012 beschlossen, die Aufnahme der Sayner Hütte in die deutsche Bewerbungsliste für die Anerkennung als UNESCO-Welterbestätte  zu beantragen. Anfang Oktober haben Land, Kreis Mayen-Koblenz und Stadt Bendorf zudem die „Stiftung Sayner Hütte“ gegründet. Denn es bleibt reichlich zu tun, bis das historische Industrieensemble als lehrreicher Zeitzeuge für kommende Generationen gesichert ist, erst recht bis es eine für Welterbestätten angemessene Verfassung erreicht hat. Aus diversen Töpfen der Öffentlichen Hand und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz stehen knapp sechs Millionen Euro zur Verfügung, um ein Sanierungskonzept umzusetzen. An dessen Erstellung waren neben Kreis und Kommune die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) für das Land, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Mittelrhein sowie der seit 2003 bestehende Verein „Freundeskreis Sayner Hütte“ beteiligt.

Die Sanierungsarbeiten laufen bereits und sollen bis 2015 abgeschlossen sein. Der UNESCO-Entscheid über den Welterbestatus erfolgt frühestens 2017. In welcher Weise das Areal – zu dem neben der Gießhalle von 1830 andere Bauten aus verschiedenen Phasen zwischen 1769 und 1926 gehören – später genutzt wird, ist noch weitgehend offen. Der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär Walter Schumacher erklärt auf Nachfrage: „Die Sayner Hütte wird sicher kein Kulturzentrum, das wir an 365 Tagen im Jahr bespielen. Aber es wird regelmäßige Öffnungszeiten geben, zu denen man das Industriedankmal, um dessen Erhalt es ja vor allem geht, besichtigen kann.“ Natürlich sei die eine oder andere Veranstaltung denkbar. „Aber zum Umfeld passen muss sie, also kommt eher er eine Bläsercombo als ein Streichquartett infrage“, so Schumacher.

„Oder ein Festival mit Arbeiterliedern“ – schließlich handelt es sich bei der Eisenhütte nicht nur um ein historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst, sondern eben auch um einen Zeugen damaliger Arbeitswelt. Weshalb sich der Kulturstaatssekretär auf dem Gelände durchaus eine kleine Ausstellung vorstellen kann, die Arbeit und Leben der Proletarier von Sayn thematisiert. GDKE-Chef Thomas Metz ergänzt im Gespräch: „Die Gießhalle soll als Kernstück der Hütte nicht verändert werden, sondern für sich selbst sprechen. Natürlich muss es Erläuterungsmedien geben, die aber so zurückhaltend gestaltet, dass sie den Charakter der Halle nicht stören.“ Für die Nutzung anderer Bauten der Hütte und ihrer Umgebung sind vorerst der Fantasie allerdings keine derartigen Grenzen gesetzt. Mal davon abgesehen, dass sie irgendwie doch zu einem Industriedenkmal von potenziellem Welterbe-Rang passen sollte.                                                              Andreas Pecht




(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
Woche 43/44  Oktober/November  2012)


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