Kritiken Theater
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2012-09-29 Schauspielkritik:

Horváths „Kasimir und Karoline“ als melancholisches Singspiel in Bonn. Regie: Michael Lippold

Auf der Wies'n tanzt die Klassengesellschaft
 

 
ape. Bonn-Beuel. Links eine riesige Rutsche über grasbewachsener Drehscheibe; rechts ein kleines sowie ein  heftig geneigtes großes Karussell auf splittbestreuter Drehscheibe. Die das Münchner Oktoberfest symbolisierende Bestückung des weiten Aktionsraums (Bühne: Julia Ries) in der Schauspielhalle Bonn-Beuel ist opulent. Blanke Fabrikwände drumrum tauchen die Jahrmarkts-Szenerie in die graue Atmosphäre eines maroden Industrialismus. Vergnügungsmeile inmitten Industriebrache: eine trefflich ambivalente Kulisse für Ödön von Horváths Volksstück „Kasimir und Karoline“ von 1932.

 
Katrin Wolfermanns Kostüme bleiben bei jener Zeit der großen Wirtschaftskrise. Horvath nannte sein Stück „eine Ballade voller Trauer, gemildert durch Humor“. Die Inszenierung von Michael Lippold nimmt diese Kennzeichung mit zahlreichen, von den Schauspielern famos umgesetzten Sangeseinlagen beim Wort und formt eine deftige wie sozialpsychologisch intensive Parabel. Die passt gedanklich und emotional sehr gut auch auf ein Heute, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich stetig größer wird, in dem zwischen allgegenwärtiger Amüsierkultur Niedriglöhnerei und Abstiegsangst toben.

Es geht um einen arbeitslosen Chauffeur und seine Freundin, eine kleine Büroangestellte. Dieser Kasimir ist bei Falilou Seck ein ruhiger, doch empfindsamer Bursche, an dessen Selbstbewusstsein Geldmangel und Jobverlust nagen. Der Mann hat verständlicherweise schlechte Laune, während seine Karoline sich auf dem Oktoberfest amüsieren will. Weil das nicht zusammengeht, landet die Maid erst am Arm des Zuschneiders Schürzinger (Birger Frehse), dann im Cabriolet von dessen Chef Rauch (Stefan Preiss). Derweil tigert Kasimir frustriert, eifersüchtig, tief verletzt über die Wies'n.

Knapp zweieinhalb Stunden währt das sich abwechslungsreich zwischen Achterbahnspaß und Bierseligkeit zu menschlichen Tragödien verdichtende Spiel. Die Bonner Produktion ist eine Art Nummernrevue, deren Teile von Andreas Bittl mit originellen musikkomödiantischen Zwischenspielen verbunden werden. So setzt sich die Inszenierung aus Szenen im Varieté-Stil und solchen nach Sprechtheater-Manier zusammen. Unterwegs werden Späße und Volksbelustigungen bitter, mutiert das „Prosit auf die Gemütlichkeit“ zum volltrunken erschlaffenden Moll-Gesang.

Über die Inszenierung legt sich zusehends Melancholie. Deren Ausbreitung folgt der Entwicklung Karolines. Maria Munkert gibt sie nicht als die oft gesehene Naive, sondern als hellwache, selbstbewusste Frau. Sie versteht genau, was vor sich geht, weiß, was die unterschiedlichen Männer von ihr wollen. Sie weiß, spürt, zeigt aber auch, dass sie überfließt von eigener Lust auf Leben. Also ergreift sie ihre vermeintliche Chance – um erfahren zu müssen, dass für sie kein Weg in die Oberklasse führt, nichtmal derjenige  über die ärgsten Erniedrigungen. Einen klugen wie sinnlichen Abend hat Lippold da dem Bonner Theater eingerichtet.
                                                                                      Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 29. September 2012)


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