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2012-09-25a Schauspielkritik:

Düffels „Alle sechzehn Jahre im Sommer“
in Wiesbaden als bloße Komödie missverstanden

Unter Spaßmacherei begraben
 

 
ape.Wiesbaden. Lebhafter Gute-Laune-Beifall nebst Klatschmarsch beendet am Staatstheater Wiesbaden die Premiere von „Alle sechzehn Jahre im Sommer“. Man hat John von Düffels neues Stück als saftige 140 Minuten boulevardesker Kurzweil erlebt. Wer indes eine Woche zuvor die von Markus Dietze eingerichtete Uraufführung in Koblenz gesehen hatte, den macht diese Folgeinszenierung von Tobias Materna schier fassungslos. Da haben zwei Regisseure dieselbe Stückvorlage gelesen, sie aber völlig verschieden verstanden.

 
Dass Wiesbaden den Text radikal gekürzt hat, die reine Spielzeit mithin 50 Minuten kürzer ausfällt, kommt dem Sitzfleisch mehr zugute als dem Stück. Doch derartige Eingriffe sind legitim und allgemein Usus; selbst große Klassiker müssen das heute aushalten. Wichtiger bleibt, dass Materna der Düffel-Trilogie vor allem im zweiten und dritten Teil einen Grundtenor verpasst, der das gerade Gegenteil der Koblenzer Sichtweise ist.

Beiderorts wird der Anfang über Verwicklungen in einer linksalternativen Westberliner Wohngemeinschaft der 70er als plakativ persiflierende Boulevardkomödie gegeben. Während diese aber in Koblenz hernach zur bitteren bürgerlichen Gesellschaftstragödie kippt, bleibt Wiesbaden den gesamten Abend bei der komischen Spielart. Das erspart dem Ensemble  Umschalten vom dick auftragenen Lachtypen- zum differenzierenden Charakterspiel. Das Stück allerdings kommt so gehörig ins Stolpern. Denn zu ernst sind bei Düffel viele Aspekte der Wandlung von der jugendlichen Kommune 1974 zum wohlstandsbürgerlichen Dasein 1990 bis zu dessen Verfall 2006.

Materna greift tief in die Komödien-Trickkiste, um die tragischen Klippen irgendwie zu umschiffen. Doch der Aufstieg des vormaligen Jungmediziners Jochen (Michael Günther Bard) zum Leiter einer Pathologie entgleitet der Regie ebenso wie die Entwicklung der Kunststudentin Sabine (Verena Güntner) vom zugedröhnten Hippiegirl zur standesgemäßen Gattin. Mit ihr als billiger, hysterischer Tussi und ihm als versoffenem Pantoffelbürokraten in Hartz-IV-Trainingsjacke landet die Inszenierung im falschen Sozialmilieu. Dorthinein werden die Karriereleiter hinaufgefallene ehemalige WG-Genossen gepresst: Kunstprofessor Hans-Helge (Wolfgang Böhm), Schuldirektorin Heidrun (Doreen Nixdorf).

Da passt bald nur noch wenig zusammen. Und zwischen allerlei Späßen verlieren sich die vom Stücktext aufgeworfenen Fragen nach dem Sinn von Karrierestreben und  Gieren nach materiellem Wohlstand im Zuge deutschen Erwachsenwerdens. Für eine Boulevardkomödie machen die acht Wiesbadener Mimen ihre Sache gut. Aber die außerordentliche Qualität von „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ rührt nunmal daher, dass der Text die 74er Flipperei und die spätere Normalität gleichermaßen unter Vorbehalt stellt – erst mittels überzeichnender Komik, dann mit zunehmend ernsthafter, genauer Ausleuchtung der Fortgangs. Als bloß leichte Komödie ist das Stück missverstanden und verschenkt.                                                                   Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 24. September 2012)

                                               ***
Siehe auch
∇ Kritik der Uraufführung des Düffel-Stückes eine Woche zuvor am Theater Koblenz (hier)

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