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2012-09-10 Schauspielkritik:

Schauspielstart am Staatstheater Mainz mit Samuel Becketts Klassiker von 1953

Godot lässt uns wieder einmal hängen


 
ape. Mainz. „Warte nicht auf bessere Zeiten!“, mit diesem zum Leben, zum Handeln, auch zur Widerständigkeit auffordernden Motto überschreibt das Staatstheater Mainz die neue Spielzeit. Zur Warnung vor dem Gegenteil startet die Schauspielsparte mit einem modernen Klassiker, der zwei Typen vorführt, die von eben jener Aufforderung nichts wissen. Oder die ihr nicht folgen können, selbst wenn sie für Momente in Erwägung ziehen, dass es für sie womöglich eine prima Alternative wäre, nicht länger tatenlos bloß auf einen Erlöser zu hoffen. Kurzum: Mainz eröffnet die Sprechtheater-Saison mit Samuel Becketts „Warten auf Godot“.

 
130 Minuten (mit Pause) dauert es im Kleinen Haus vom anfänglichen „Da ist nichts zu machen“ bis zum finalen Dialog: Wladimir sagt „komm wir gehen“, Estragon stimmt zu „wir gehen“ - doch rührt sich keiner von der Stelle. Die beiden werden wohl bis ans Ende ihrer Tage allweil wiederkommen, um, wie zuvor im Stück gezeigt, vergeblich auf Godot zu warten. Ein sinnloses Dasein, angefüllt mit unendlicher Langeweile nebst verzweifelten bis hanebüchenen Bemühungen, die Zeit etwas schneller verrinnen zu lassen – und sei's mit Erörterung der praktischen Probleme beim Versuch, sich aufzuhängen.

Langsamkeit ist ein Wesensmerkmal dieses Stückes, Zeit zähflüssig zu machen, eine Aufgabe für jede Inszenierung. Man sieht auch in Mainz bei den Hauptdarstellern André  Willmund (Wladimir) und Lorenz Klee (Estragon) mannigfache Ansätze, Zeit zu dehnen,  Aktionen zu bremsen, Schweigen zuzulassen, dem Nichts, der Leere und der Verlorenheit darin Raum zu geben. Doch beschlichen das Team um Regisseur Marcus Mislin wohl im letzten Moment Zweifel, ob heutiges Publikum der Langsamkeits-Zumutung noch gewachsen sei: Die Premiere fiel plötzlich 20 Minuten kürzer aus als im Programmheft angegeben. Und manche Passage, die eine stille lange Weile hätte währen sollen, verfällt in einen „Godot“-untypischen, bisweilen irritierenden Geschwindschritt.

Die Inszenierung bleibt dennoch sehenswert. Aber die Regie hätte sich trauen sollen, die angedachte Langsamkeit auch voll auszuspielen. So wie sie sich traut, Becketts eigener Regiepraxis zu folgen und die lakonischen Komikelemente des tragischen Stückes feinsinnig zu unterstreichen. Klee gibt einen liebenswert beschränkten, in Leiblichkeit treibenden Estragon; Willmund mimt den Denker, der weiß, was zu tun klug wäre, aber den Schritt zur Tat partout so wenig hinkriegt wie sein Freund. Man wartet eben auf Godot, den Macher, den Erlöser aus allem Trübsinn.

Statt seiner kommen zweimal Pozzo (Stefan Walz) und Lucky (Matthias Spaan) vorbei. Das sind dann intensiv gespielte und sehr bedrückende Momente, weil der Herr den Diener viehisch quält, ohne dass selbst dort eine Widerstandsregung aufkommt, wo sie leicht durchsetzbar wäre. Und weil Wladimir/Estragon die Quälerei vornehmlich als willkommene Kurzweil während ihres tristen Wartens begreifen.

Doch Hoffen auf Godot ist so vergeblich wie Hoffnung auf den Fortschritt, den anno 1889 der Pariser Eiffelturm symbolisierte: als architektonisches Monument des industriellen Siegeszuges, das zugleich an die Französische Revolution von 1789 erinnert. Bühnenbildnerin Ines Alda hat in Mainz den traditionellen kahlen „Godot“-Baum durch einen Trümmerhaufen von Eiffelturm ersetzt und das Stück damit in eine Gegenwart geholt, in der die alten Träume ausgeträumt sind. Neue zu träumen, wagt niemand, denn es ist ja doch „nichts zu machen“ – außer weiter auf Godot zu warten. Wie gesagt: Davor warnt das Mainzer Theater. 
                                                                                     Andreas Pecht


Infos: www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 11. September 2012)


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