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2012-08-14 Feature:

Schmuckfabrik Bengel in Idar-Oberstein ist bedeutender Zeitzeuge einer vergangenen Epoche


Unterwegs zum
„lebendigen Industriedenkmal“


ape. Idar-Oberstein. Verglichen mit dem stärker industriell geprägten Nachbarn NRW, sind in Rheinland-Pfalz Industriedenkmäler recht dünn gesät. Doch gibt es darunter welche von beträchtlicher Bedeutung. Etwa die Sayner Hütte in Bendorf, deren Gießhalle als frühester Industriebau mit tragender Gusseisenkonstruktion gilt. Oder die „Uhrenketten und Bijouteriewarenfabrik Jakob Bengel“ von 1873 in Idar-Oberstein. Was am Nahe-Ufer wie eine vom Zahn der Zeit kräftig angenagte Manufaktur aussieht, ist nach Ansicht von Experten ein außerordentliches Zeugnis vergangener Industriekultur.

Mit seiner original erhaltenen Baustruktur und teils noch funktionstüchtigen Ausstattung aus 130 Jahren ermöglicht das Industriedenkmal Bengel tiefe Einblicke in Technik-, Ästhetik-, Wirtschafts- und Arbeitsgeschichte der Idar-Obersteiner Schmuckbranche. Dass es das Ensemble aus Fabrik (1873), Arbeiterwohnhaus (1890) und Fabrikantenvilla im Jugendstil (1910) noch gibt, ist einer Initiative der Urenkelin des Firmengründers zu danken: Christel Braun rief vor gut zehn Jahren die späterhin  kommunalisierte Bengel-Stiftung ins Leben.

Ohne diese Institution wäre die nach langem Niedergang in den 1990ern stillgelegte Schmuckfabrik wohl dem Verfall preisgegeben. Das Dach war marode, die Fundamente begannen abzusacken. Die Stiftung wurde – zusammen  mit dem Freundeskreis Bengel Denkmal e.V. – zum Motor für den Erhalt und eine neue Perspektive als „lebendiges Industriedenkmal“. Dach und Fundamente sind inzwischen mit Landeshilfe saniert. Damit ist die Basis gelegt für weitere Entwicklungen, an deren Ende bis 2016 dieses „Industriedenkmal von nationalem Rang“ (Landesdenkmalpflege) als lebendes Industriemuseum Besucher von hier und anderwärts faszinieren soll.

Für den 18./19. August haben Stiftung und Freundeskreis ein Wochenende der offenen Tür ausgerufen. Dessen Programm umreißt exemplarisch den seit 2001 erreichten Stand. An beiden Tagen wird es fortlaufend Führungen für Gruppen mit maximal 15 Teilnehmern geben. Denn anders sind etliche Abschnitte der alten Fabrik (noch) nicht begehbar. Treppenhäuser, Werkstätten,  Maschinensäle sehen aus, als hätten die Arbeiter gerade Feierabend gemacht. Als seien hier eben noch Uhrketten, Gürtelschnallen, Handtaschenbeschläge und jener Modeschmuck im Art-Déco-Stil gefertigt worden, mit dem Bengel im frühen 20. Jahrhundert international stark vertreten waren.

So interessant der authentische Zustand ist: Bis die heutigen (Sicherheits-)Anforderungen für einen frei zugänglichen Besucherbetrieb erfüllt sind, bedarf es noch einiger Jahre und etlicher Hunderttausend Euro. Stiftungsvorsitzender Willi Lindemann skizziert die nächsten Schritte der Planung: Einrichtung eines besucherfreundlichen Eingangsbereiches; Einbau technischer Installationen nach modernem Sicherheitsstandard; Ausstattung der Fabriksäle mit „Aktionsinseln“, wo diverse Gewerke der einstigen Produktion real demonstriert werden können. Doch soll durch diese Maßnahmen der historische Gesamteindruck möglichst wenig gestört werden.

Seit einigen Jahren schon wird Fabrikantenvilla für wechselnde Ausstellungen zeitgenössischen Autorenschmucks genutzt. Die Brückenfunktion zwischen Geschichte und Moderne ist Teil des Nutzungskonzeptes für das Industriedenkmal. An besagtem Wochenende der Offenen Tür eröffnet hier eine Schau mit Arbeiten von 18 israelischen Schmuckkünstlern der Gegenwart. Parallel gibt es in einem für Ausstellungen hergerichteten Trakt der Fabrik zwei schmuckgeschichtliche Präsentationen.

Da wären einmal Neuerwerbungen aus der Art-Déco-Epoche der Firma Bengel: 120 Schmuckstücke, die einst von Idar-Oberstein aus in alle Welt gingen. 2011 sind sie vor allem in Großbritannien wieder ausfindig gemacht und mit Unterstützung der Kulturstiftung Rheinland-Pfalz sowie der Kreissparkasse Birkenfeld zurückgekauft worden. Die Neuerwerbungen werden jetzt erstmals vorgestellt – und bilden mit anderen Teilen der Bengel'schen Sammlung den Grundstock für die spätere Dauerausstellung im Industriedenkmal.

Ein Beispiel für künftig anvisierte Wechselschauen ist die zweite Ausstellung: „Männerschmuck von der Nahe“ zwischen 1870 und 1920. Bestückt mit Leihgaben von fünf örtlichen Traditionsunternehmen, wird hier ausgebreitet, was Mann einst tragen konnte, wenn ihm der Sinn (oder Geldbeutel) nicht nach echten Diamanten und Gold stand. Auf Hochglanz legierte, mit Halbedelsteinen ausstaffierte Krawattennadeln, Manschettenknöpfe, Uhrkettenanhänger, Rauchutensilien: Oft in Handarbeit gefertigt, ging der „unechte“ Schmuck in hohen Auflagen beispielsweise an Ausstattungsboutiquen in den Badeorten Europas.

So ist das alte Bengel-Ensemble einerseits Industriedenkmal per se. Andererseits entwickelt es sich   zum lebendigen Anschauungszentrum für die Kulturgeschichte der Schmuckfabrikation im Nahe-Raum. Die bisherigen Fortschritte sind beachtlich; bis zum wünschenswerten Endausbau aber braucht es noch einen langen Atem.               Andreas Pecht

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Infos:

Programm für Wochenende der offenen Tür am 18./19. August im Industriedenkmal Bengel unter >>www.jakob-bengel.de

Die im Text angesprochenen Ausstellungen dauern von 18. August bis 4. Oktober 2012. Normale Öffnungszeiten (auch für Fabrikführungen): im August/September Dienstag – Sonntag 10 – 16 Uhr, im Oktober Dienstag – Freitag 10 – 16 Uhr. Info-Telefon: 06781/270 30

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(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 14. August 2012)

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Frühere Artikel zum Thema "Bengel in Idar-Oberstein":

 2006-03-20 Stadtkultur:
Junge Schmuckkünstler beleben
Industriedenkmal Bengel in
Idar-Oberstein


 2005-03-01: Reportage
Die Wiederentdeckung der

Bijouteriewarenfabrik Bengel in Idar-Oberstein

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