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2012-07-27a Feature/Analyse:


Hoffnungsvoller Aufbruch zu einem
Bad Ems der Künste


Bürgerengagement bescherte der alten Kurstadt an der Lahn zum dritten Mal das „KlangFest“-Festival



ape. Bad Ems. Herbstabend 2009. Willi Becker und Lutz Brenner landen zufällig am zur Lahn hin offenen Karree des historischen Kurhotels Bad Ems. „Hier müsste man was machen“, sind sie sich sogleich einig. Da der Ur-Bad-Emser Becker von Hause Musikpädagoge ist und Brenner seit etlichen Jahren als Bezirkskantor am Ort wirkt, denken beide an Konzerte, insbesondere klassische. Und wie das manchmal so geht, wenn rührige Bürger sich etwas in den Kopf setzen: Das Duo wächst rasch zum Quintett, das den Verein KulturOffensive Bad Ems gründet – der zum Juni 2010 ein nagelneues Sommerfestival mit  20 anspruchsvollen Veranstaltungen aus dem Boden stampft: das KlangFest Bad Ems.

Sommer 2012. Ich bitte die beiden Ideengeber um ein Gespräch. Denn auch in der entfernteren Nachbarschaft hatte man inzwischen den Eindruck gewonnen: Es tut sich was in der alten Kurstadt an der Lahn. Becker und Brenner haben gerade das opulente Schlusswochenende des dritten KlangFest-Jahrgangs hinter sich. Wir sprechen über Erfolge: Knapp 6000 Besucher je Festival;  Auftritte renommierter Orchester, Ensembles, Solisten; gelungene Einbindung künstlerischen Nachwuchses aus der internationalen Szene wie aus der Region; Bespielung ungewöhnlicher Locations, Realisierung ausgefallener Formate...

Wir sprechen über Mühen, die das Festival den durchweg ehrenamtlichen Organisatoren macht. Über Probleme bei der Einwerbung des 150 000-Euro-Budgets aus Sponsoren-Börsen und  Fördertöpfen. Es fällt kein böses Wort gegen niemand, aber hinter wohlgemuten Sätzen lassen sich auch Erfahrungen erahnen, wie sie bürgerschaftliche Initiatoren in so vielen Gemeinden machen:  Wechselbäder aus Zuspruch und Ressentiments, aus Sonntagsreden voll des Lobes und Werktagswirklichkeit leerer Kommunalkassen. Beim Rundgang durch Bad Ems sprechen wir über eine Stadt mit großer Geschichte, die in der Gegenwart um Zukunftsperspektiven ringt.    
 
Schöne Landschaft mit Fluss. Das ist eines der Pfunde, die Bad Ems sein Eigen nennt. Davon gibt’s im nördlichen Rheinland-Pfalz allerdings reichlich – an Rhein, Mosel, Nahe, Ahr etc. Dazu gesellt sich im Emser Fall: Jüngst fein herausgeputztes Städtchen, noch immer geprägt durch die Architektur eines mondänen Kurortes vom 18./19. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Am rechten Lahn-Ufer die Kurpromenade, am linken die Villenpromande: Man ahnt beim Spaziergang, dass die dereinst Reichen und Mächtigen Gesundheitspflege und Luxus zu vereinen wussten.

Damit sind wir bei den Alleinstellungsmerkmalen, nach denen modernes Stadtmarketing allüberall giert wie ehedem die Alchemie nach dem Stein der Weisen. Was hat oder hatte Bad Ems für sich allein, zumindest im weiten Umkreis? Erstens: Die europäische Hautevolee bis hinauf zu Königen, Kaisern, Zaren verbrachte hier manche Woche beim Kuren nebst Amüsieren. Zweitens: Im Sog der Großmächtigen stellten sich an der Lahn Künstler in beträchtlicher Zahl ein. Literaten wie Gogol, Dostojewski, Turgenjew, Victor Hugo, Bettina von Arnim trieben hier Kontaktpflege, ließen sich von Bädern, Roulettespiel und Gesellschaftsbällen inspirieren. Nicht minder intensiv frequentierte die musikalische Zunft den seinerzeit weltberühmten Nobelkurort: Carl Maria von Weber, Meyerbeer, Clara Schumann, Beriot oder Rimski-Korssakow waren da; Richard Wagner komponierte im Schloss Balmoral den 3. Satz des „Parzifal“. Und natürlich Jacques Offenbach, der Operettenkönig: Der war zwölf Jahre lang Stammgast in Bad Ems, komponierte hier manches Stück und brachte acht Einakter im Marmorsaal des Kurhauses zur Uraufführung.

Warum ich so ausführlich rekapituliere, was vergangen ist? Weil Städten, manchmal ganzen Regionen, eine historische Identität innewohnt, die Nachgeborene zwar vergessen oder überbauen können, die sie dauerhaft aber nicht loswerden. Denn Menschen wollen letztlich doch wissen, auf welchem Boden sie warum Wurzeln geschlagen haben. Das gilt fürs Ruhrgebiet wie für Koblenz oder für Bad Ems. Selbst wenn sämtliche historische Bauten plattgewalzt wären: die nächste Generation würde wieder in Archiven wühlen, um herauszufinden, wie es daheim mal aussah und zuging.

Deshalb ist die Gegenwart gut beraten, die überkommene Identität als chancenreichen Anhaltspunkt für neue Entwicklungen zu begreifen. In Bad Ems existiert ein Teil dieser Identität handfest als  baulich-historische Kurbadkulisse. Es gibt aber noch einen anderen, ideellen Teil, der dem Betrachter von auswärts vielleicht eher auffällt als dem Einheimischen: die Kurbadkulisse „klingt“. Anders gesagt: Die alten Hotels, Villen, Bad- und Kurhäuser verströmen einen Geist der Empfänglichkeit für die Künste. Wie könnte es auch anders sein an einem Ort, der so schön wurde allein zum Wohle von Leib und Seele.

Kurzum: Wer offenen Sinnes durch Bad Ems flaniert, kommt fast zwangsläufig zu der Ansicht, dass dies nicht zuletzt eine Stadt der Künste sein sollte. Eine Ansicht, die sich verfestigt, je näher man dortigen Räumlichkeiten tritt: den großen Villensalons, den unterschiedlichen Kirchen. den historischen Sälen, Theatern, Hallen. Beim diesjährigen Klangfest wurde die „Alte Zentrale“ als akustisch fulminante Konzerthalle für ein 700-köpfiges Publikum entdeckt. Auch dieses Industriedenkmal von 1903 gehört zur Identität einer Stadt, in der einst Kurbetrieb und Bergbau koexistierten.

Es gab in den letzten 25 Jahren mehrere Versuche, in Bad Ems ein Offenbach-Festival als Kern eines Hochkulturlebens neben den zahlreichen Populärevents an der Lahn zu etablieren. Sie sind alle im Sande verlaufen. Dennoch war es völlig richtig, auf die Künste als besonders wichtigem  Zukunftsfaktor für diese Stadt zu bauen. Das KlangFest greift diesen Weg auf, steckt ihn aber neu ab. Die Offenbach-Pflege wird fortgesetzt, ist nun jedoch – wie schon im historischen Bad Ems – nur eine Komponente in einem breiten Spektrum anspruchsvoller Kultur. Ob es diesmal dauerhaft glückt?
                                                                                       Andreas Pecht          

Infos:  www.klangfest-badems.de                  


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
Woche 30/31 im Juli/August 2012)


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