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2012-06-25h Denkmalpreis RLP:

Melchior-Hess-Filzfabrik in Speyer: Industriebau wurde anspruchsvolles innerstädtisches Wohnquartier


Wieder belebtes Zeugnis der Industrialisierung


ana. 1904 ist ein gutes Jahr für die Familie Hess aus Speyer: Voller Stolz können die Söhne des Büchsenmachers Melchior Hess in diesem Jahr die neue Produktionshalle einweihen, die ab sofort den Mittelpunkt der „Melchior Hess Filzfabrik“ darstellen wird. Die drei jungen Hess haben das Geschäft, das ihr Vater 55 Jahre zuvor gründete, weiterentwickelt und zum Blühen gebracht. Deutschland ist auf dem Weg zum Industriestaat, und in Speyer produzieren sie nun industriell Filz und Pappe, vor allem für Schrotpatronen. Den Willen zur Weiterentwicklung spiegelt die neu errichtete Halle.  Ihre Ziegelfassade ist äußerlich eine Reminiszenz an die klassische Bauweise. Im Inneren aber ist sie ein Stahlbetonbau und damit auf der Höhe der Zeit: Erst 1900, auf der Pariser Weltausstellung, hatte der französische Bauingenieur Francois Hennebique den Stahlbeton populär gemacht.

Noch heute ist das Gründungsjahr der Produktionshalle in geraden, grauen Lettern auf dem Mauerwerk der alten Produktionshalle zu sehen, ebenso wie das Kürzel des Firmengründers: „M. Hess“. Doch sonst hat sich vieles verändert, allem voran die Wirtschaft. Filz ist kein Markt mehr. Die Fabrik, die zu ihrer Hochphase um 1914 noch 150 Menschen beschäftigte, wurde 1996 stillgelegt. Ein prächtiges Zeugnis deutscher Industriegeschichte stand damit leer. 25.000 m2 Brachfläche im Herzen von Speyer, nur 500 Meter vom Dom entfernt.

Zehn Jahre vergingen, bis sich schließlich das Immobilienunternehmen Neff des alten Fabrikgeländes annahm. Eckhard und Christian Neff kauften das Areal der Erbengemeinschaft ab, unter anderem mit dem Ziel, die ehemalige Produktionshalle  für Wohnzwecke umzunutzen. „Die Substanz war erstaunlich gut erhalten“, sagt Eckhard Neff rückblickend – ein Jahrhundert hatte dem Stahlbeton nichts anhaben können.

Wo früher Filz gewaschen und gewalkt wurde, entstanden nun auf vier Etagen 23 Loftwohnungen und vier Penthäuser. Das Flachdach wurde zu einer Dachterrasse umgebaut, die in der Mitte mit einem eingeschossigen Aufbau überdacht ist – wer ein Penthaus besitzt, hat hier Zutritt. Eine Herausforderung für die Architekten waren die historischen Stahlfenster. Es galt, eine energetisch vernünftige Isolation mit dem Denkmalschutz in Einklang zu bringen. Die Lösung: Camouflage. Die Stahlfenster sind entglast und habe nur noch eine optische Funktion. Die tatsächlichen, modernen Energiespar-Fenster wurden dahinter gesetzt und Rollläden unsichtbar zwischen beiden integriert. Das Ergebnis wirkt ästhetisch-leicht und keineswegs vergittert.  

Besonders gelungen, loben Experten, ist der Erhalt der Backsteinfassade. Ein Konzession an die Gegenwart sind die neun zeitgenössisch gestalteten Balkone, die in ihrer ganzen ausladenden Größe an der Fassade zu hängen scheinen. Weil mit Abspannungen gearbeitet wurde, kommen sie ohne Stütze aus. Mit sichtbarer Fuge gesetzt, sind sie eine geschickte und erkennbare Altbauergänzung. Hier verbindet sich der Erhalt des Historischen mit den Bedürfnissen der Moderne. Optimaler kann man ein Denkmal kaum neu nutzen.

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Wohnung als Hommage an die Fabrik

Nachfahre des Firmengründers lebt mit Freude im Denkmal  

Mehr als ein Jahrhundert war die Filzfabrik im Familienbesitz – und für 280 m2 von ihr gilt das bis heute. Denn ein Nachfahre des Firmengründers besitzt heute eine Wohnung in dem Industriedenkmal: „Das hat mit meiner Verbundenheit zur Familiengeschichte zu tun“, sagt Rolf Siebecker. Und damit, dass er den Rundblick von seiner Dachterrasse in 24 Meter Höhe über alles liebt.

Zusammen mit seiner Frau und seinen fünf Kindern bewohnt Rolf Siebecker eine der vier Penthauswohnungen im Obergeschoss. Und hat sich dafür entschieden, den Charme des Industriellen in ihr zu bewahren. Es gibt deshalb keine festen Wände innerhalb  seiner Wohnung, nur in der Mitte ist in Würfelform der Bereich für Dusche und WC abgetrennt. Der Boden ist aus Fließestrich gegossen, passend zur freigelegten Betondecke mit ihren Gussfugen und den sichtbar gemachten Versorgungsleitungen. Im Sommer spielt sich das Leben draußen ab, auf der Dachterrasse: „Diese Großzügigkeit, verbunden mit der innerstädtischen Lage, das ist etwas Einzigartiges“, schwärmt Siebecker.

Der Ur-Ur-Enkel von Melchior Hess ist weit mehr als ein gewöhnlicher Bewohner: Er ist auch das Gedächtnis der Filzfabrik. Schließlich hat er in dem Familienbetrieb in den frühen 1980er-Jahren sogar noch einen Teil seiner Ausbildung absolviert. Siebecker hat erlebt, wie riesige Ballen von Tierhaaren aus aller Welt kamen, aus der Mongolei ebenso wie aus den USA, um dann gewogen und bis zur weiteren Verwendung gelagert zu werden: „Wo heute die Tiefgarage ist, waren früher die Haarkeller“.  Dass er heute dort lebt, wo er einmal gelernt hat, ist für ihn auch eine „Hommage an die Fabrik“. Und, wie gesagt, das ist dann noch der Ausblick: „Bei klarer Sicht reicht er bis zum Odenwald“.


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 20. Juni 2012)


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