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2012-06-19 Kommentar:

Anmerkungen zur polit-ökonomischen Krise Europas

 

Soll Europa jetzt mehr sparen oder
mehr Wachstum generieren?

 
ape. Soll Europa jetzt mehr sparen oder mehr Wachstum generieren? Diese Alternative dominiert im Moment den politischen Diskurs. Es ist eine Scheinalternative, die in Wahrheit gar nicht existiert - die aber das systemische Dilemma verdeutlicht, in der die Welt steckt. Wir wissen: Die in unserer Epoche vorherrschende Wirtschaftsweise ist bei Strafe des Untergangs auf Wachstum angewiesen. Die gewaltigen Staatsverschuldungen, um die jetzt so heftig gestritten wird, sind nur zum geringeren Teil Folge öffentlicher Verschwendung und erst recht nicht verursacht durch vermeintlich luxuriöse Sozialsysteme. Sie sind überwiegend vielmehr gerade Ergebnis des Bemühens um permanentes Wirtschaftswachstum. Wobei Maßstab für Wachstumserfolg vor allem das Wachstum des Shareholder value ist.

Anders betrachtet: Zwecks Steigerung der "Wettbewerbsfähigkeit",  der "Attraktivität für Anleger" oder einfach zur Bereicherung der Reichen sind die für Finanzierung des Gemeinwesens und sozialer Standards in Steuerform eingezogenen Profitanteile ständig gesunken. Das geschieht teils über legale Ausnutzung wirtschaftsfreundlicher Steuergesetzgebung, teils (verstärkt wohl im Süden des Kontinents) durch illegale Hinterziehung. D.h. immer größere Anteile des von der Arbeitsbevölkerung Erwirtschafteten verbleiben in Besitz und Verfügungsgewalt des Kapitals. Das führt im Gegenzug zwangsdläufig dazu, dass sich das Gemeinwesen vermehrt via Kredit (Staatsverschuldung) finanzieren muss. Denn den Möglichkeiten des Staates, die fortschreitende Abgabenentpflichtung des Kapitals durch Abgabenerhöhung für die Masse der Bevölkerung auszugleichen, sind Grenzen gesetzt. Die bestehen ebenso aus innenpolitischen Gründen wie aus dem simplen Umstand, dass eine finanzielle Ausblutung des Volkes wiederum dem ökonomischen Wachstums und damit dem Shareholder value schaden würde.

Gefragt, ob ich derzeit mehr dem Sparkurs oder dem Wachstumskurs zuneige, muss ich leider antworten: So wie das  Wirtschaftssystem gegenwärtig strukturiert ist und die europäische Politik sich der Struktur anpasst/unterwirft, kann es auf diese Frage keine auch nur halbwegs befriedigende Antwort geben. Das systemische Dilemma ist ohne gravierende Eingriffe ins System unlösbar - und was wir gerade erleben, ist das hilflose bis verzweifelte Rumgeeiere, ein fauliges Boot mit der Schöpfkelle über Wasser halten zu wollen. Tatsächlich müsste das Gefährt zumindest ein paar neue Planken bekommen. Sprich: An die Stelle von Spar- oder Wachstumskurs müsste ein Umverteilungskurs treten, der vor allem das Kapital und seine reichen Nutznießer wieder angemessen in ihre Pflichten für das Gemeinwesen nimmt. Denn Reichtümer produziert die Arbeitsbevölkerung reichlich, es kommt darauf an, sie richtig zu verteilen und vernünftig einzusetzen - statt sie den sowieso ewig unersättlichen Molochen "Wettbewerbsfähigkeit" und "Anlegerinteresse" zum Frass vorzuwerfen.                                                                 Andreas Pecht


                                             ***


Ergänzend sei noch auf eine Anmerkung vom  Vortag zur Griechenland-Wahl verwiesen:

Es ist dummes Zeug, wenn im Zusammenhang mit der Griechenland-Wahl viele hiesigen Medien die dortigen Parteien nach "europafeindlich" und "europafreundlich" sortieren.  Syriza wäre nur dann eine europafeindliche Bewegung, wenn wir akzeptieren, dass Europa quasi per Definition gleichgesetzt wird mit der derzeit vorherrschenden Wirtschafts- und Finanzpolitik - wenn Europa also reduziert würde auf das Selbstverständnis einer Zweckgemeinschaft zur optimalen Bedienung der Markt-, insbesondere der Finanzmarktinteressen. Freilich versucht politischer und medialer Mainstream genau dieses Selbstverständnis zurzeit in alle Köpfe zu hämmern. Aufgrund der verfahrenen Lage, in die das marktliberale Wirtschaftssystem Europa getrieben hat, wirkt dieses Selbstverständis quasi wie naturgesetzlich.

Syriza und anderen Mainstream-Verweigerern ist es hingegen zu danken, dass der Blick "von unten her" verstärkt auf eine der tatsächlichen, aber in der dominanten Ideologie marginalisierten Hauptursachen der europäischen Schuldenkrise gelenkt wird: Europas Wirtschaft hat sich nebst altreichen und neureichen Profiteuren vielfach von ihren Finanzierungspflichten für die Gemeinwesen des Kontinents verabschiedet. Allein über deren  Steuerhinterziehung entgehen den Staaten Unsummen regulärer Einnahmen, deren Fehlen nachher durch teure Kreditaufnahmen ausgeglichen werden müssen. Da dreht es sich nicht um ein paar  Millionen Euro nach Lichtenstein verschobener Schwarzgelder, sondern um Hunderte Milliarden, die den Unterschied zwischen einem bankrotten und einem einigermaßen stabilen Staatshaushalt ausmachen können. Und das schon bei den illegalen Steuerhinterziehungen. Man rechne nun noch die legalen Subventionen und Steuererleichterungen etwa für die Industrie hinzu.....

Es geht nicht einfach um die Frage europafeindlich vs. europafreundlich. Es geht in Wahrheit zentral um die Frage: Was für ein Europa wollen wir überhaupt?  


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