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2012-06-15 Feature/Buchvorstellung:

Historikerin aus Dausenau schreibt erste Biografie über Hans Scholl, den Kopf der „Weißen Rose“


Vom Hitlerjungen zum Widerstandskämpfer


ape. Ist von der „Weiße Rose“ die Rede, so naturgemäß von den Geschwistern Scholl. Denn die   Studenten Sophie und Hans bildeten den Kern jener Widerstandsgruppe gegen das Nazi-Regime, die am 18. Februar 1943 bei einer Flugblattaktion an der Münchner Universität aufflog. Doch die Erinnerung an die vier Tage später hingerichteten Aktivisten hat eine eigentümliche Schlagseite: Während die Nachwelt mit zahlreichen Biographien und einem Kinofilm Sophie Scholl größte Aufmerksamkeit entgegenbringt, gerät ihre älterer Bruder zur Nebenfigur.

Dieser Schieflage macht nun die in Dausenau an der Lahn lebende 32-jährige Historikerin Barbara Ellermeier ein Ende: Eben erschien die von ihr verfasste erste Biografie über Hans Scholl, den Gründer und Kopf der „Weißen Rose“. Im Gespräch nach dem Grund für die allgemeine Fixierung auf Sophie gefragt, ist auch die Autorin ratlos. Aber sie erinnert die eigene Fasziniertheit, die vom Mut der geradlinigen 20-Jährigen ausgeht. Die Annäherung an deren Bruder Hans fällt ungleich schwerer. Sein Weg vom strammen HJ-Fähnleinführer über den deutschnationalen Wehrmachtssanitäter zum Medizinstudenten im Widerstand ist kompliziert.

Hans ist eine widersprüchliche Person mit nicht immer sympathischen Zügen. „Es ist doch wirklich toll – alle sind verliebt in Scholl“, dichtet eine Kommilitonin über den schmucken, stets etwas unnahbaren und deshalb umso reizvolleren Hans. Der lässt nichts anbrennen; saubere Trennungen von den fünf aktenkundigen Freundinnen sind indes nicht seine Stärke. Nach der Durchsicht hunderter, seit 2005 erstmals zugänglicher Briefe von ihm, an ihn, über ihn resümiert Ellermeier: „Bei Hans passten Innenansicht und  Außenauftritt nicht zusammen. Erst war er für den Krieg, hasste aber zugleich das Militär; einerseits hatte er gern und reichlich Gesellschaft, andererseits sehnte er sich nach dem Alleinsein.“

Was beim Lesen des Buches verwundert, irritierte auch die Autorin bei ihren Recherchen: Bis in den Herbst 1941, da ist Hans 23 Jahre alt, „finden sich in den Quellen keinerlei Hinweise auf eine Widerstandsregung“. 1937 war Hans zwar wegen eines unerlaubten Ausflugs nach Schweden verhaftet worden. Die Sache endet glimpflich, ist aber ein schwieriger Moment für seine in Ulm lebenden Eltern und vier Geschwister. Doch den Umbruchpunkt zum Hitlergegner stellt dieses Ereignis nicht dar, meint Ellermeier.

Allerdings vermitteln die Briefe wachsende Unzufriedenheit bei Hans mit „Hindernissen, die der NS-Staat und der Krieg für ihn, seine Familie und seinen Freundeskreis bereithält.“ Eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Versorgungsprobleme, Pflichtdienste, reglementierte Berufsperspektiven, Verfolgungsschicksale in seiner Umgebung, Durchsickern der Wahrheiten von der Front: Der Alltag in Nazi-Deutschland nagt an ihm. Sein Ideal von einer zu Höherem berufenen und verpflichteten Geisteselite, zu der er sich rechnet, gerät zusehends in Widerspruch zum dumpfen NS-Regime.

Anteil daran haben Gesprächsrunden über Literatur, Philosophie, Religion, die Hans organisiert. Religiös war er bis dahin nicht. Nun entflammt ihn der Umgang mit Intellektuellen um den frommen Professor Carl Muth für einen geistig nicht gleichgeschalteten Katholizismus. Das Fass zum Überlaufen bringen nach Ellermeiers Ansicht bei Hans Ereignisse im Frühjahr 1942. In seiner Studentenkompagnie wird ein Kommandeur ausgepfiffen, was üble Restriktionen und noch üblere Denunziationen zur Folge hat. Und: Vater Scholl wird wegen Führer-Beleidung inhaftiert; seine Sekretärin hatte ihn angezeigt.

Von da an stürzt sich Hans fiebrig in den Kampf gegen den „Antichristen“, als den er Hitler sieht. Mit  nur einer handvoll engster Freunde produziert und verbreitet er Flugblätter, pinselt nachts Parolen gegen die Nazis an Hauswände. Er ist der Kopf dieses (Männer-)Zirkels – dem sich Sophie  bald unentbehrlich macht. Von Frühjahr 1942 bis Februar 1943 dauert die aktive Phase der „Weißen Rose“, dann werden die jungen Leute von Freislers Volksgerichtshof dem Henker überantwortet.

Die Dausenauerin erzählt kein Heldenepos, sondern beleuchtet das suchende Erwachsenwerden eines eitlen wie nachdenklichen, stets abenteuerlustigen Jungen. Zur Redlichkeit gehört, auch von Hans Scholls weltfremden und Gewalt einschließenden Umsturzträumen für Deutschland zu sprechen – und von seiner naiven Leichtfertigkeit bei der illegalen Arbeit. Nicht umsonst lehnte die Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ Kontakte zu den Münchner Idealisten ab. Doch schmälert das nicht deren Bedeutung als Licht in dunkelster Zeit. Die Freunde setzten ihr  Leben ein, „um das Abendland und seine Kultur gegen den Ungeist zu verteidigen“, wie Ellermeier die finale Motivation Hans Scholls beschreibt.                                                       Andreas Pecht


Barbara Ellermeier: "Hans Scholl - Biographie". Hoffmann und Campe, 428 S., 24,99 Euro.     
 

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 15. Juni 2012)

                                                   ***

Zu älteren Arbeiten von Baraba Ellermeier:

2008-06-25a Kulturgeschichte:
Neue Römer braucht das Land - Doktorandin nimmt historische
Museen unter die Lupe


2008-02-21 Hörbuchtip:
Das geistige Um- und Vorfeld der
Widerstandgruppe "Weiße Rose"


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