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2012-06-04 Schauspielkritik:

Klaus Weise inszeniert in Bonn einen soliden, tragikomischen „Kirschgarten“


Mit Tschechow vom feudalen Regen in die kapitalistische Traufe
 

 
ape. Bonn. Am Anfang eine bühnenbreite Filmprojektion, die unternehmungslustige Leut' auf einer riesigen Baustelle zeigt. Zweieinhalb Stunden später eine Filmsequenz, in der ein Bagger einen  blühenden Kirschbaum plattwalzt. Diese Eckpfähle setzt Klaus Weise seiner Inszenierung von Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ in den Godesberger Kammerspielen des Theaters Bonn.
 

Das sind Bilder aus dem Kopf des Kaufmanns Lopachin (Ralf Drexler).  Der zum Neureichen aufgestiegene Nachfahre eines Leibeigenen wird sie Wirklichkeit werden lassen. Er wird „alle feudalen, idyllischen Verhältnisse zerstören und an ihre Stelle die eine gewissenlose Handelsfreiheit setzen“. Ob Tschechow den Marx'schen Befund zum Siegeszug des Kapitalismus kannte, ist ungewiss. Doch sein Stück aus dem Jahr von 1904 handelt von eben diesem Übergang. Der Waren- und Finanzjongleur Lopachin ist der neue Herr, während die alte Gutsherrenfamilie um Frau Ranewskaja (Katharina von Bock) dem Bankrott entgegengeht. Er übernimmt die Konkursmasse, um den wunderschönen alten Guts-Kirschgarten einer profitablen Ferienhaussiedlung zu opfern.

Wie meist bei diesem Stück, weiß der Zuseher auch in Bonn nicht, auf welche Seite er sich schlagen sollte: Auf die der reizend verschrobenen, aber schmarotzenden Feudalsippe; oder auf die des wohlwollenden, aber kühl rechnenden Bourgeois. Unter Weises Personal gibt es keine wirklich böse Figur, nur auf unterschiedlich versponnene, schrullige Gestalten. In diesem Sinne nimmt die Inszenierung Tschechows Bezeichnung des „Kirschgartens“ als Komödie ernst. Darin tobt zwar objektiv der Zusammenbruch hergebrachter Lebensart. Subjektiv indes vertreiben sich all die netten Menschen ungerührt die Zeit mit ihrem traditionellen Spiel um Liebe, Lust, Nostalgie, nutzlose Freuden und Hoffnungen.

Das ist tragisch wie komisch gleichermaßen – und lässt sich ohne Mühe auf unsere Gegenwart übertragen. Für diese Doppelbödigkeit hat Dorothea Wimmer als Bühne einen neutralen Viereckraum eingerichtet. Kein Garten, kein Baum, kein Gutssalon, wie in vermeintlich russischen Atmosphäre-Inszenierungen oft gesehen. Zum Anfang und zum Ende häufen sich Gepäckstücke, dazwischen gibt’s bloß ein paar weiße Hocker. Die hellbeigen Tuchwände lassen eine Anmutung von Sommerpavillon aufkommen.

Man muss hier gut aufpassen, um überhaupt mitzukriegen, dass diese Zusammenkunft eigentlich mit der Absicht stattfindet, das Familiengut irgendwie behalten zu können und vor der Zwangsveräußerung zu retten. Denn die ganze Gesellschaft ist nur tanzend, turtelnd, schwadronierend mit sich selbst beschäftigt. Das plätschert absichtsvoll in wechselndem Stellungsspiel dahin. Die Figuren dürfen reihum als Typen kräftig auftragen, müssen als Charaktere aber recht blass bleiben.

Lisa Guth und Louisa Stroux durchbrechen als Ranewskajas Töchter die Ordnung bisweilen mit ambivalenten Ausdrücken verzweifelter Liebessehnsucht. Tanja von Oertzen webt als greiser Firs    stoisch einen überzeitlichen Blickwinkel ins Geschehen –  für den selbst dieser Epochenumbruch nur eine weitere Episode im ewigen Lauf der menschlichen Dinge ist. Freundlicher Applaus für einen schlüssigen, teils vergnüglichen, soliden „Kirschgarten“.      
                                                                                 Andreas Pecht  

Infos: www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 4. Juni 2012)


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