Thema Vorträge
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2012-06-04 Konzerteinführung:

4. Orchesterkonzert 2011/12 im Görreshaus Koblenz. Mit Rheinischer Philharmonie unter Benoit Fromanger (auch Flötensolist) und Werken von J.S. Bach, Connesson, Fauré und Haydn
 

Motto: "French Connection"

(Unkorrigiertes Redemanuskript. Mündlicher Vortrag teils abweichend)
 
ape. Meine sehr geehrten Damen und Herrn, liebe Musikfreunde, seien sie herzlich willkommen zum vierten und damit letzten Orchesterkonzert im Görreshaus für die Saison 2011/2012.


Der heutige Nachmittag steht unter dem englischsprachigen Motto „French Connection“. Das meint aber französische Beziehungen, Verbindungen, Zusammenhänge.  In diese Beziehungen sind neben zwei französischen Komponisten sowie unserem aus Paris stammenden heutigen Dirigenten und Solisten auch ein deutscher und ein österreichischer Komponist verwickelt. Kurzum: Die Kunst lässt sich von momentan europa-skeptischen Stimmungen nicht aus der Fassung bringen und bleibt, was sie immer war: weltoffen, in unserem Falle europäisch.

Über diesen Gedanken kommen wir auch der Antwort auf die Frage näher: Was, in Dreigottes Namen, hat der alte Johann Sebastian Bach in einem Konzertprogramm mit französischer Ausrichtung zu suchen? Ausgerechnet Bach, der zeitlebens kaum je aus seinem thüringisch-sächsischen Lebensraum hinauskam. Eisenach, Ohrdruf,  Arnstadt, Mühlhausen (in Thüringen, nicht im Elsass), Weimar, Köthen, Leipzig: Bachs Lebensstationen liegen allesamt in einem knapp 200 x 200 Kilometer kleinen mitteldeutschen Flecken. Von zwei Schuljahren im niedersächsischen Lüneburg, ein paar Wanderungen von dort nach Hamburg und einer Reise an den preußischen Hof zu Berlin, kann man getrost absehen.

Eine kleindeutsche Vita wie sie kleindeutscher kaum sein kann. Und doch finden sich in Bachs Orcherstersuite Nr. 2 h-Moll, mit der unser Konzert heute beginnt, mannigfache französische Einflüsse und kunstvolle Verarbeitungen des französischen Stils. Sie können das nachher gleich in den ersten Takten an dem verhaltenen punktierten Rhythmus hören, der typisch ist für die prunkvollen Schreitopern, die seinerzeit in  Frankreich große Mode waren.

Sie können die französische Prägung auch direkt an den Bezeichnungen der sieben Tanzsätze der Orchester-Suite ablesen:  Rondeau, Sarabande, Bouree, Polonaise Menuett, Badinerie.  Die von Bach musikalisch wunderbar kontrast- und abwechslungsreich gestalteten Tänze sind allesamt entweder französischen Ursprungs oder es sind französische Adaptionen noch älterer Tänze – etwa aus Polen die Polonaise oder die Sarabande aus Andalusien respektive Arabien.

Überhaupt galt Bach bei seinen Zeitgenossen im frühen 18. Jahrhundert als richtiger Kenner der damaligen Musikentwicklungen in Frankreich und auch in Italien. Wie kann das gehen – ohne Radio oder Schallplatte und ohne dass der Herr Thomaskantor den Fuß außer Landes gesetzt hätte? Überliefert ist folgendes: Machten Freunde, Bekannte, Kollegen auf Reisen Station im Hause Bach, mussten sie dem Hausherrn sogleich ausführlich Rede und Antwort stehen, was/wie/von wem anderwärts aktuell musiziert werde. Und die größte Freude konnten Besucher dem Johann Sebastian machen, wenn sie ihm als Gastgeschenk Noten aus Frankreich, Italien oder anderen Ländern mitbrachten. Bach saß da also in seiner kleinen Welt, war aber bestens orientiert über das musikalische Geschehen in der großen.

Die Orchestersuite Nr. 2 im heutigen Konzertprogramm ist eine von vier Orchestersuiten, die Bach als Einzelstücke und nicht etwa als Zyklus  komponiert hat. Meine verehrte Kollegin Insa Bernds datiert im Programmheft ihre Entstehung auf Bachs Köthener Zeit um 1720. Sie bezieht sich damit auf EINE Position innerhalb der Bach-Forschung. Es gibt auch andere Positionen, von denen die Leipziger Jahre ab 1723 als Ursprungszeit für einen Teil der vier Suiten angenommen werden. Für die Nr. 2 behauptet etwa Bach-Forscher Peter Wollny, dass sie womöglich gar Bachs spätestes Orchesterwerk überhaupt sei und erst weit in den 1730er-Jahren geschrieben.

Nichts Genaues weiß man mal wieder nicht. Denn gerade bei den Bach'schen Orchesterwerken ist die Quellen- und Beweislage sehr schwierig: Weil nur wenige Authographpartituren erhalten sind; weil viele Werke wohl ganz verschollen sind; weil andere nur in Stimmauszügen oder als nachträgliche Rekonstruktion vorliegen. Unstrittig ist aber dies: Anno 1729 übernahm Bach in Leipzig ein ehedem von Georg Philipp Telemann gegründetes Musizierensemble. Das leitete er – jenseits seiner Pflichten als Thomaskantor – mit einer kurzen Unterbrechung bis 1742. Sommers pflegte man im Zimmermannschen Kaffeegarten, winters im Zimmermannschen Kaffeehaus weltliche Werke aufzuspielen; darunter die vier Orchestersuiten. Und wir können davon ausgehen, dass Bach die vier Werke für diese Gelegenheiten zumindest endbearbeitet hat. Wie dem auch sei: Uns steht jedenfalls gleich mit der Orchestersuite Nr. 2 ein gut 18-minütiges Musik-Bonbon für Barockorchester und Flöte von feinster französisch-bach'scher Machart ins Haus.

Gleich danach gibt es hier im Saal eine Deutsche Erstaufführung:    „The Ship of Isthar“, eine Sinfonie in vier Bildern für Streichorchester vom 1970 geborenen französischen Komponisten Guillaume Connesson.   Ich muss gestehen, über diese Musik weiß ich nicht viel mehr als Sie. Denn ich habe das 2009 entstandene Stück noch nie gehört, hatte leider auch keine Gelegenheit, mal in die hiesigen Proben hinein zu lauschen. 

Aber der gleichnamige Abenteuerroman von Abraham Merritt, auf den sich Connessons Komposition nach Art einer sinfonischen Dichtung bezieht, der ist mir bekannt. Ich fand vorgestern sogar noch ein zerfleddertes Exemplar im Bücherregal, und zwar ganz hinten, wo die Lektüresünden abgelegt sind: in der Abteilung Science-Fiction/Fantasy. „The Ship of Ishtar“ erschien 1924 und ist ein weitgehend vergessener Klassiker der Fantasy-Literatur. 

Sein 1943 verstorbener amerikanischer Autor war im Hauptberuf Journalist. Zu dessen Hobbys gehörte Gartenbau, Harfespielen und die Beschäftigung mit untergegangenen Kulturen. Vor allem aus Letzterem bezog er die mystisch-abenteuerlichen Anregungen für seine insgesamt acht Romane. In „The Ship of Ishtar“ geht es – genregemäß – um den ewigen Kampf guter Mächte gegen böse Mächte, in den ein Archäologe namens John Kenton verwickelt wird. Den Mann hat Magie in eine fremde Dimension versetzt, wo er es mit dem schwarzen Priester Klaneth zu tun bekommt.

Diesem finsteren Typen ist das erste Bild von Connessons Sinfonie gewidmet. Im zweiten geht es um die schöne Ishtar-Priesterin Sharane, in die John sich verliebt. Wenn ich die mir vorliegenden spärlichen Informationen richtig verstehe, handelt das dritte Bild der Sinfonie von einer magischen Insel und ist das vierte eine klangliche Reise durch sieben Zeitabschnitte der fantastischen Handlung. Klingt alles ziemlich mysteriös, ist aber inhaltlich auch nicht mysteriöser als so manche große Romantikoper. Wenn die Musik des Franzosen den Anmutungen des Romans folgt, könnten wir nachher eine interessante dramatische Mischung aus großem Pathos und liebreizender Innerlichkeit erleben. Man wird hören. Ich bin gespannt.

Der zweite echte Franzose neben Connesson ist im heutigen Programm  Gabriel Fauré. Von ihm bekommen wir die populäre und bei Flötenvirtuosen sehr beliebte Fantasie für Flöte und Streicher E-Dur zu hören. Der 1845 in einem kleinen Ort in den französische Pyrenäen geborene und 1924 in Paris gestorbene Komponist war ein Schüler von Camille Saint-Saens – und er war eine eigentümliche Ausnahmeerscheinung im Pariser Musikbetrieb seiner Zeit.

Dank der Protektion von Saint-Saens erhielt Fauré mit Mitte 20 eine Stelle als Chorleiter an der Pariser Kirche de la Madeleine. Eine durchaus renommierte Position, aber grottenschlecht bezahlt. Weshalb man den jungen Mann nach seinen Pflichten im Kirchendienst alle Tage kreuz und quer durch Paris hetzen sah, um bei zahllosen Privatschülern sein Auskommen zu verdienen.

Sobald sich aber Nacht über die französische Metropole senkte, schlüpfte Gabriel Fauré in das zweite Ich seines Doppellebens: Er wurde zum Salonlöwen. In den aristokratischen und bourgeoisen Gesellschaften von Paris war er ein gern gesehener Gast und gefeierter Musiker. Er galt als unterhaltsam und geistvoll, war als angeblich sehr attraktive Erscheinung vor allem bei den Damen beliebt. Und er glänzte in den Salons der Reichen als versierter Improvisator am Klavier.

In diesem Umfeld fand er jene Anerkennung und Bewunderung, die ihm das offizielle Musikleben Frankreichs lange verweigerte. Denn im Unterschied zu seinen anerkannten Komponistenkollegen hatte er nicht am Pariser Conservatorium studiert, sondern im Internat Niedermeyer, einer Schule für angehende Kirchenmusiker. Obendrein war Fauré keiner der gängigen Musikrichtungen zuzuordnen und wurden seine Werke kaum auf internationalen Bühnen gespielt. Viele Zeitgenossen mäkelten, seine Kompositionen seien doch allzu arg dem leichten Salonstil verschrieben.

Erst 1896 kam Bewegung in Faurés Laufbahn: Mit 51 Jahren durfte er am   Pariser Konservatorium die Kompositionsklasse von Jules Massenet übernehmen. Zu seinen Schülern gehörten etwa Nadia Boulanger und Maurice Ravel. 1905 dann der Karrierehöhepunkt: Fauré wurde, völlig überraschend für die französische Musikszene, zum Direktor des Pariser Konservatoriums gewählt. In diesem sehr einflussreichen Amt betätigte er sich bis 1920 als kompromissloser, bisweilen rücksichtsloser Reformer. Weshalb ihm seine Kontrahenten den Spitznamen „Robespierre“ anhängten.

Von solcher Härte ist in seiner Fantasie für Flöte und Orchester, die wir beim heutigen Konzert geboten bekommen, nichts spüren. Das Stück hebt an mit einem Andantino, das auf einer lieblichen, zarten, melancholisch-süßen, fast getragenen Flötenkantilene basiert. Dazu bildet das nachfolgende furiose Allegro den Kontrast; dort wird den Flötisten hohe technische Spielvirtuosität abgefordert. „Fauré führt also in diesem kleinen Werk geradezu Modellhaft die Möglichkeiten der Flöte in der musikalischen Romantik vor“, wie Insa Bernds im Programmheft treffend schreibt.

Die Fantasie entstand übrigens 1898 zuerst als Kammermusikstück nur für Flöte und Klavier. Die Orchestrierung nahm 1957 Aubert vor.  Fauré selbst hat überhaupt nur sehr wenige Werke für große Orchesterbesetzung komponiert. Was wohl mit ein Grund dafür ist, dass er im internationalen Konzertbetrieb sehr lange kaum vertreten war.

Der vierte und letzte Komponist in unserem Programm ist dann wieder kein Franzose, sondern 1732 in Niederösterreich geboren: Joseph Haydn, heute vertreten mit der Sinfonie Nr. 84 in Es-Dur. Und wie Bach, so zeichnet auch Haydn eine lebenslange, kleinräumige Standorttreue aus. In seinem Fall das österreichisch-ungarische Grenzland zwischen Wien und den Schlössern der ungarischen Fürstenfamilie Esterhazy, in deren Dienst er drei Jahrzehnte stand. Immerhin verkehrte Haydn in der Weltmusikstadt Wien, lebte und arbeitete dort etliche Jahre.

Wie damals überall in Europa, so wurde auch am Hofe und in den gehobenen Kreisen Wiens nicht nur Französisch gesprochen, sondern erfreuten sich Mode und Künste aus Frankreich generell großer Beliebtheit. Haydn wusste also Beschied über französische Musikentwicklungen. Wie umgekehrt kunstsinnige Franzosen sehr wohl wussten, dass da in der Abgeschiedenheit des Ersterhazy'schen Landschlosses ein Musicus erster Güte Außerordentliches hervorzubringen wusste. Es ist immer wieder erstaunlich, wie intensiv doch der Kulturaustausch in der damaligen Welt schon war, obwohl ihr schnellstes Kommunikationsnetz aus Pferden bestand.

So kam es, dass anno 1784 die Pariser Freimaurerloge Olympique für ihre   Konzerte bei Jospeh Haydn die Komposition eines Zyklus von sechs Grandes Symphonies in Auftrag gab. Wir kennen diese Werke als „Pariser Sinfonien“, schätzen sie als einen der ersten Höhepunkte im umfangreichen sinfonischen Schaffen Haydns.

Am Rande sei ein interessanter Aspekt vermerkt, über den manche Musikwissenschaftler bis heute rätseln: Das Pariser Orchester, das bei den öffentlichen Konzerten der Olympique-Loge zum Einsatz kam, galt als eines der besten und größten Europas. Haydn hätte bei der Instrumentierung aus dem Vollen schöpfen können, beließ es aber bei der vergleichweise bescheidenen Besetzung, wie er sie von der Esterhazy'schen Hofmusik gewohnt war.

Die heute hier zu hörende Sinfonie Nr. 84 ist die vierte der sechs Pariser Sinfonien, und zugleich die wohl unbekannteste. Weshalb sie  ausgezeichnet zu den Görreshauskonzerten passt, die sich ja gewollt verstärkt auf weniger bekannte Werke kaprizieren. Die 84 wird zwar von einem langsamen, beinahe feierlichen Largo eröffnet, findet dann aber rasch zu einem recht munteren, teilweise fast verspielten Grundtenor. Das Menuett ist einfach gebaut, strahlt eine rustikale Kräftigkeit aus. Den lebhaften Schlussteil leitet ein liedhaft schwingendes Motiv ein. Analytische oder strukturelle Hörer unter Ihnen werden ihre besondere Freude an dem Umstand haben, dass Haydn die ganze Sinfonie quasi aus einem einzigen Thema entwickelt.

Das war's von mir für heute. Zugleich war's das von mir an dieser Stelle überhaupt. Nach sieben Jahren und 28 Einführungsvorträgen zu den Görreshauskonzerten, habe ich mich entschieden, diesen Job jetzt an den Nagel zu hängen – trotz aller damit verbundenen Herausforderung, Freude und Anerkennung. Der Grund dafür ist ganz einfach: Auch ich werde leider nicht jünger, und muss allmählich das Arbeitspensum den Möglichkeiten meines tatsächlichen Alters anpassen, also etwas kürzer treten. Außerdem haben Sie mich nun lange genug ertragen und wird es nach sieben Jahren Zeit, dass Ihnen hier mal eine andere Nase vor Augen und anders gestrickte Reden zu Ohren kommen.

In der nächsten Saison wird sie Johannes Stein jeweils in die Konzerte einführen. Der langjährige Koblenzer Hochschulpfarrer kennt sich mit  klassischer Musik bestens aus, arbeitet seit geraumer Zeit auch im Vorstand der Koblenzer Mendelssohn-Tage als Dramaturg mit. Sie werden bei ihm in guten Händen sein.

So darf ich mich für Ihre Aufmerksamkeit heute sowie all die Jahre zuvor herzlich bedanken. Man sieht sich – in diesem oder einem anderen Theater respektive Konzertsaal.                  Andreas Pecht



(Gehalten am 3. Juni 2012 im Görreshaus Koblenz)

---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken