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2012-05-08 Schauspielkritik:

Luk Percevals umstrittener Hamburger "Hamlet" machte Station bei Wiesbadener Maifestspielen

Shakespeares „Hamlet“ verläuft sich
im Märchenwald
 

 
ape. Wiesbaden. „Hamlet“ ist seit fast 400 Jahren fester Bestandteil des Repertoires. Ringsum zu sehen zuletzt etwa 2011 in Frankfurt, 2008 in Mainz, 2006 in Wiesbaden… Die um 1600 entstandene Tragödie sei nunmal „das Stück der Stücke“, meint Luk Perceval (54), einer aus der ersten Regieliga im deutschsprachigen Theater. Seine umstrittene Version des Shakespeare-Klassikers fürs Hamburger Thalia war jetzt zu Gast bei den Wiesbadener Maifestspielen. 100 Minuten Staunen, Grübeln, Zweifeln – so ein seltsamer „Hamlet“ ist hier im Südwesten nicht erinnerlich.

 
Strittig zu diskutieren wäre dies: Wer die Stückhandlung nicht kennt, ist bei der Perceval-Inszenierung verloren. Sie hält sich nicht damit auf, die Story vom Prinzen zu erzählen, dessen königlicher Vater vom Bruder ermordet wurde und dessen Mutter den nun herrschenden Mörder ehelicht. Die Einrichtung wendet sich an „Hamlet“-Kenner, steigt sofort in tiefenpsychologische Deutungen ein. Als Form dient eine Art symbolistisches Märchenspiel, das sich düster zwischen Hirschkadaver und Riesenwand aus alten Mänteln entfaltet.

Strittig zu diskutieren wäre auch das: Die Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Günter Senkel haben eigens eine stark verkürzende Bearbeitung des Textes verfasst. Die enthält durchaus Shakespear'schen Geist, aber halt in minderer Fülle und in oft befremdender Wortwahl. Percevals Absicht, das Spiel auf einige Kernfragen zu konzentrieren, ist zwar begreifbar. Aber Shakespeares Blick gerade auf die Komplexität der menschlichen Angelegenheiten wird so doch beträchtlich eingeschränkt.

Strittig zu diskutieren wäre ferner eine zentrale Inszenierungsidee: Aufspaltung der Titelfigur auf zwei Schauspieler. Der ruhige, ältere Josef Ostendorf und der jugendliche, aggressiv-exzentrische Jörg Pohl stecken über weite Strecken in einem gemeinsamen Kostüm. Das macht hübsche Effekte und versinnbildlicht äußerlich die innere Zerrissenheit des Menschen, die Shakespeare mit der Hamlet-Figur in die Theatergeschichte einführte.

Allerdings: War nicht stets gerade diese Zerrissenheit die größte Herausforderung für jeden Darsteller? War nicht das schauspielerische Ergebnis stets das spannendste, interessanteste, bewegendste Hamlet-Erlebnis für die Zuseher? Und: Ist es nicht gerade die Verschmolzenheit der Widersprüche in einem Ich, die Hamlet so wichtig macht?

Unstrittig ist, dass die Hamburger Mimen Schauspielkunst von hohen Graden zeigen. Der Stil lässt sich als artifiziell überhöhte Comedia dell'arte beschreiben, was zur märchenhaften Anlage der Inszenierung passt. Da tritt Laertes (Sebastian Zimmler) als schlanker Riese auf Stelzen an, vereint Mirco Kreibich die Rollen Rosencrantz und Güldenstern in einer Harlekin-Figur. Gertrude ist bei Gabriela Maria Schmeide eine beleibte Ballerina-Puppe und der Claudius von André Szymanski ein recht depperter König.

In all dies webt der Musiker Jens Thomas mit Klavier, Gitarre und Kopfstimme Atmosphärenklänge zwischen  zarter Poesie und enervierendem Gezeter. Perceval will uns seine ausgewählten „Hamlet“-Aspekte offenbar mehr fühlen als die „Hamlet“-Tragödie bedenken lassen. Das ist ein durchaus respektabler Ansatz, der einen in dieser Umsetzung aber sehr weit von Shakespeare entfernt – und am Ende eher kalt lässt.            Andreas Pecht



(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 9. Mai 2012)


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