Kritiken Theater
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2012-03-05 Schauspielkritik:

Projekt "Humankapital" am Theater Koblenz

Eine eigentümliche Gesamtkonstruktion

Zuschauer werden nach der Pause auf sechs verschiedene Stücke an sechs Orten verteilt

 
ape. Koblenz. Theater darf, soll, muss Ort lebhaften Experimentierens sein. Sonst wäre es bloß Museum für älter werdende Stücke – statt Forum, auf dem sich Öffentlichkeit mit Schein, Sein und Werden der menschlichen Dinge auseinandersetzt. Das Theater Koblenz macht jetzt aber etwas, was es von Frankfurt bis Köln in den letzten 25 Jahren noch nie gab: Es liefert unter dem Titel „Humankapital“ einen Abend, von dessen neun Stunden summarischer Spieldauer jeder Besucher nur rund zweieinhalb zu sehen bekommt. 
 

Erstaunlicherweise wirkt das Premierenpublikum dennoch weithin zufrieden. Was wohl mehr an den Qualitäten der jeweils erlebten Teile liegt als an der eigentümlichen Konstruktion des Gesamtabends. Der beginnt ganz normal für alle Besucher mit einer Inszenierung von Jordi Galcerans „Die Grönholm-Methode“ auf der großen Bühne. Maike Krause hat das Stück über ein Ausleseverfahren für Bewerber um einen Managerposten feinsinnig als perfides Psychospiel eingerichtet.

Vier Personen sind in einen Raum gesperrt: die nackte Bühne, bestückt nur mit einer steril verpackten Sofalandschaft (Ausstattung: Marlis Knoblauch). Dort sollen sie aus dem Off zugespielte Aufgaben lösen, sollen unter Druck Stärke, Kreativität, Entscheidungskraft zeigen – sollen einander ausstechen beim Wettbewerb um den Topjob.

Eine der Aufgaben: Herausfinden, wer von ihnen ein eingeschleuster Vertreter der Personalabteilung ist. Oder: Drei sollen sich in Führungspositionen der Firma denken; der vierte muss all seine Schwächen bloßlegen und die Mitbewerber doch überzeugen, ihn nicht rauszuwerfen. Da liegen die Nerven bald blank, wird Mensch mal zum eiskalten Schwein, mal zum heulenden Bündel. Und keiner weiß vom anderen, was ist echt, was bloß vorgetäuscht.
Dorothee Lochner, David Prosenc, Felix Meyer und Marcel Hoffmann liefern sich eine Zimmerschlacht, bei der Wut und Verzweiflung, Hass, Mitleid und Trauer zur Waffe im Konkurrenzkampf jeder gegen jeden werden.

Von ideeller Tünche entblößt, zeigt sich das kapitalistische Wettbewerbsprinzip – in immer neuen überraschenden Wendungen – als Moloch, der sich das Menschliche in all seiner Ambivalenz dienstbar macht: auch Seelen werden Kapital, Humankapital. Damit könnte nach 80 Minuten ein  bewegendes und bedenkenswertes Theatererlebnis enden. Aber es ist nur Pause. Während der sortiert sich das Publikum zu sechs Gruppen, die sich auf sechs Räume verteilen, um nach dem Zufallsprinzip dort einen von sechs verschiedenen Schauspielmonologen zu sehen.

Von hier an muss nun der Kritiker zwangsweise ungerecht werden, denn wie jeder Besucher bekommt auch er nur einen der sechs Monologe mit. Ihn verschlägt es zusammen mit 20 anderen Zusehern in die Theaterkasse, wo Daniel Wagner auf intensiv direkte Art John von Düffels Text „Traumjobs“ spricht und spielt. Über die fünf anderen Monologe an anderer Stelle lässt sich nicht urteilen, weil wir eben nicht dabei sein konnten. Laut Hörensagen nachher im Wirtshaus sollen auch sie beeindruckend sein.

Erinnert sei: Die Kraft des Theaters rührt nicht zuletzt vom gemeinsamen Live-Erleben eines Gesamtkunstwerks. Anschließende Gespräche basieren darauf, dass alle dasselbe anschauen. Hörensagen kann auch in der Theateröffentlichkeit nur Dampfplauderei begründen, wie sie heute für das auf Dutzende Kanäle zersplitterte Fernsehpublikum typisch ist. Eine Theaterproduktion, von der man zwei Drittel nicht sieht, das ist, mit Verlaub, eine Schnapsidee – je besser die Einzelteile sind, umso ärger.                                                                Andreas Pecht


Infos: >> www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck 5. März 2012)

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