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2012-02-29 Ballettkritik:

Romeo und Julia wuseln
durch die Schattenwelt

 
Stephan Thoss verhebt sich am Staatstheater Wiesbaden mit einer Neuinterpretation des Ballettklassikers

 
ape. Wiesbaden. Das ist alles sehr verwirrend. Stephan Thoss hat sich für die neue Tanzproduktion am Staatstheater Wiesbaden einen Klassiker des Handlungsballetts vorgenommen: „Romeo und Julia“. Dafür gibt es bekanntlich Sergej Prokofjews große Musik aus den 1930ern. Auf die greift Thoss auch in Teilen zurück. Aber sie genügt ihm nicht. Er holt sich Elemente aus verschiedenen Kompositionen von Michael Nyman hinzu. Das Hausorchester unter Wolfgang Ott macht daraus ein vielfarbig gefühlsintensives Kaleidoskop – das dem Hörer allerdings strukturelle Orientierung verweigert.
 

Orientierung ist es auch, die einem an der Choreografie selbst fehlt. Thoss will den Tanzklassiker auf neue Art erzählen, will vor allem tief in die Charaktere der jugendlichen Hauptfiguren eindringen. Dazu benutzt er zwei inszenatorische Tricks. Erstens zeigt er auf riesigen Videoprojektionen Nahaufnahmen der Gesichter von Romeo und Julia nebst Langeinstellung ihres ersten zarten Kusses. Zweitens verdoppelt er das Titelpaar: Mal tanzen Romeo und Julia quasi in echt, dann gibt es ein weiteres Paar, das als Schatten der beiden denkbare Variationen von deren Innenleben darstellt.

Prokofjew und Nyman vermengt; Romeo und Julia dupliziert, aber leider keines der Paare dieser oder jener Musik eindeutig zuzuordnen. Obendrein tilgt Thoss den Shakespear'schen Basiskonflikt zwischen der Capulet- und der Montague-Partei weitgehend aus seiner Produktion: Verfeindete Jugendgruppen sind nicht identifizierbar, nur Mercutio (Giuseppe Spota) und Tybalt (Yuki Mori) gehen aus unerfindlichem Grund aufeinander los. Da weiß der Zuseher bald nicht mehr, woran er ist, und was das noch meinen soll.

Es gibt vor abstrakt düsterer Hochhauskulisse auch eine Reihe schöner Momente an diesem Abend.  Die jugendliche Unschuld und Zärtlichkeit in den Videobildern gehören dazu – wenngleich es bei einem Ballett doch irritiert, dass der fast gefühlsstärkste Beitrag aus dem außertänzerischen Bereich kommt. Das verliebte Umturteln von Florian Teatiu und Ludmilla Komkova als „echte“ Romeo und Julia gehört dazu; ebenso das verfremdete, dunkel ahnungsvolle bis verzweifelt ekstatische Umschlingen ihrer Schatten Valeria Lampadova und Daniel Whiley.

Doch Schönheit und emotionale Intensität bleiben eben auf Momente konzentriert. Der Tanz trägt sie in dieser Choreografie nicht über die lange Strecke von fast drei Stunden. Warum? Weil Stephan Thoss sich selbst kein geradliniges Erzählen erlaubt und seinem Personal kein Innehalten. Jede Person, jedes Geschehen, jeder Gedanke, jedes Gefühl werden verwirbelt und verwuselt in tanztechnischen Tempo-Feuerwerken zwar hoher Schwierigkeit, indes schon bald auch stilistischer Einförmigkeit.

Da gibt es in den Tanzfiguren kaum noch Unterschiede zwischen Liebeserklärung und Streit, zwischen Fest und Straßenkampf. Und wenn im Ballett der Tanz kaum mehr differenziert, sind alle tiefschürfenden Gedanken über eine Neuinterpretation des alten Stoffes vergebliches Bemühen des Programmheftes, weil auf der Bühne nicht erkennbar.                                             Andreas Pecht


Infos: >> www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 29. Februar 2012)

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