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2011-02-15 Tanztheaterkritik:

"Ödipus/Bêt Noir" von Wim Vandekeybus, deutsche Erstaufführung am Schauspiel Köln

Schauspiel, Tanz, Show
und ein paar Fragezeichen


 
ape. Köln. Was soll man davon halten? Das „Ödipus / Bêt Noir“ betitelte Stück des Belgiers Wim Vandekeybus ist nicht Schauspiel oder Ballett, ist weder Tanztheater noch Show. Gleichwohl  enthält es Elemente aus jeder Sparte. Der 49-jährige Choreograf und Regisseur hat sich eine eigenwillige Fassung des Sophokles-Dramas aus der Feder von Jan Decorte vorgenommen. Daraus macht er mit Tänzern seiner „Ultima Vez“-Kompagnie nebst vier Kölner Schauspielern und drei Musikern einen teils arg auf Effekt gebürsteten, teils kunstvollen Abend. Bei der Deutschlandpremiere jetzt am Schauspiel Köln wurde die Produktion nicht bejubelt, aber kräftig beklatscht.

 
Was letzten Sommer beim Wiener Festival „ImPulsTanz“ einen veritablen Skandal lostrat, ruft am Rhein Irritation und vereinzeltes Kopfschütteln hervor: Gegen Ende des Stückes liegt für drei Minuten ein leibhaftiges Baby auf der Bühne, umtanzt von den Abkömmlingen des Ödipus. Um ein Sinnbild für die Benutzung unschuldiger Kinder durch Götter und diesseitig Mächtige zu schaffen, benutzt die Regie einen unschuldigen Säugling. Nichts gegen Provokation am Theater, aber hier sehe ich eine unanständige und obendrein völlig überflüssige Grenzüberschreitung. Eine Puppe hätte den Gedanken hinreichend verdeutlicht.

Vandekeybus liebt drastische Bilder zur Darstellung drastischer Sachverhalte. Und davon bietet die antike Story reichlich: Gewalt, Kindesmissbrauch, Machtkampf, Mord, Selbstentleibung sind Gegenstand der Handlung, mehr noch der darin eingebetteten szenischen Andeutungen von Berichtetem und Erinnertem. Ödipus ist der tragischste aller tragischen Helden. Erst glaubt er, der Weissagung entkommen zu sein, wonach er den Vater erschlagen und die eigene Mutter heiraten werde. Dann stellt sich heraus, er hat unwissentlich auf Umwegen das ihm von den Göttern zugedachte Schicksal doch erfüllt.

Die von Vandekeybus selbst gespielte Titelfigur bezeichnet sich in Decortes Text schließlich als „schwarzes Biest“ ("Bêt noir") und sticht sich nach Sophokles beide Augen aus. In dieser Produktion wird der Text über weite Strecken zur Nebensache, übernimmt Köperausdruck die Vorherrschaft. Tanz wird tragendes Element zwecks atmosphärischer Interpretation der oft nur noch vage erahnbaren Geschichte.

Wobei der Tanzstil dieser Formation das eigentliche Faszinosum des Abends ist. Wild toben die Tänzer über die Bühne, als sei Bauern- und Kriegerfest im alten Schottland. Kraft, Dynamik und Tempo, schiere Akrobatik, pure Verspieltheit oder Aggressivität gehen vor Anmut und Eleganz. Ein jugendliches Völkchen in archaischer Entfesselung, das mit gewagten Sprints, Hebern, Sprüngen, Würfen jenseits jeden Ballettreglements Stimmungen zwischen Kampfeswut und libidinösem Überschwang zu zeichnen sucht. Dazwischen fallen Momente von fast natürlicher Zärtlichkeit und Verletzlichkeit besonders ins Auge.

Doch der Tanz hat eine Neigung zur Verselbständigung. Mal um Mal löst er sich von der Geschichte. Das ist dann noch immer hübsch anzusehen, aber mehr Tanzshow mit Hintersinn als  immanenter Bestandteil eines theatralischen Gesamtkunstwerkes. Was soll man davon halten?                                      Andreas Pecht


Infos: www.schauspielkoeln.de

(Erstabdruck 14. Februar 2012)

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