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2012-01-23 Schauspielkritik:

"Biedermann und die Brandstifter" am Staatsttheater Mainz. Regie: Marcus Mislin

Die Komik ernster Absurdität


 
ape. Mainz. Herr Biedermann macht es sich auf der Bühne des Staatstheaters Mainz gemütlich. Mit Wein und Zigarre ruht er im Sessel, überfliegt die Überschriften der Zeitung, blubbert Kommentare dazu. „Aufhängen, alle aufhängen!“ Das gilt den Brandtstiftern, von deren Umtrieben er liest. Die Feuerteufelei empört ihn. Doch lässt er sich von Unbilden anderwärts die Behaglichkeit so wenig vergällen wie von den Bildern aus seiner 60er-Jahre-Fernsehkommode: explodierende Küchen und Klosetts.
 

Die Zeichen nahender Gefahr mehren sich, der Kleinbürger sieht sie auch. Aber als ihn selbst betreffend nimmt er sie erst wahr, wenn ihm das Haus über dem Kopf mitsamt der ganzen Stadt abgefackelt worden ist. Und zwar von zwei Obdachlosen, denen er auf dem Dachboden Unterkunft gewährte. Die machten zwar nie einen Hehl daraus, dass solche Zündelei ihr Geschäft sei. Der Hausherr indes wollte das partout für einen Witz halten. So ist das in „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch.

1958 mit Gustav Knuth in der Titelrolle uraufgeführt, wurde das tragikomische Drama rasch zum Bühnen-Hit – und Anlass vieler Missverständnisse, weil kaum jemand den Untertitel „ein Lehrstück ohne Lehre“ ernst nehmen mochte. Weshalb es wechselweise als antifaschistische, antikommunistische oder antikapitalistische Allegorie interpretiert wurde. Markus Mislin geht solcher Versuchung in Mainz aus dem Weg, indem er seine 90-minütige Inszenierung am Begriff „Burleske“ orientiert, den Frisch in seinen Tagebüchern für den Stoff gebrauchte.

Lorenz Klee macht aus Dienstmädchen Anna eine fein-humorige Travestie. Verena Bukal gibt Biedermanns Gattin als boulevardesk angehauchte Bürgerdame zwischen nervöser Überspanntheit und noch nervöserer Ängstlichkeit. Ein famoses Duo sind die beiden Obdachlosen. Der proper-proletarische Ex-Ringer Schmitt (Stefan Walz) kitzelt Biedermanns Eitelkeit: Der Haarwasserfabrikant will von ihm als sozial gutmenschlicher Kumpel gesehen werden – und fraternisiert bei Wein, Zigarren und Gänsebraten mit diesem Belzebub. Karoline Reinke spielt in stoischer Eiseskälte den Teufel alias  Ex-Kellner Eisenring, der mit des feixenden Hausherrn Hilfe Zündschnüre zuschneidet.

Der Zuseher schmunzelt gerne an diesem Abend, eine Atmosphäre hintergründigen Ernstes bleibt dennoch. Das rührt vom Verzicht der Regie auf schrille Überdrehtheiten und von einer Personenführung, die aus dezent kleinteiliger Gestik und fein differenzierendem Sprechton eine Komik ernster Absurdität formt. Gregor Trakis balanciert als Biedermann zwar mehrfach nahe am Abgrund zur Comedy-Kalauerei entlang. Aber er stürzt nie ab, sondern hält seine Figur dort in der Schwebe, wo Blindheit, Feigheit, bigotter Edelmut und Unbelehrbarkeit zum lachhaften Kleinbürger verschmelzen.     
  
Die Bühne von Ines Alda hebt die Trennung zwischen Dachboden und Wohnzimmer auf. Von Szene zu Szene dichter, umstellen auf einem zentralen Podest Benzinfässer das Anfangsensemble aus Sessel und Fernseher. In brutalerer Offensichtlichkeit sind die  Biedermänner wohl selten sehenden Auges in die Katastrophe gerannt. Das kann als Fingerzeig auf die Gegenwart verstanden werden – an einem sehenswerten Abend, der allerdings eine Schwäche hat: Das kleine „Nachspiel in der Hölle“ wird von plötzlich ausbrechender Effekthascherei so unglücklich zerzaust, dass man kaum mehr begreift, warum und wie der Himmel und die Hölle da aneinandergeraten.                           Andreas Pecht


Infos: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck 23. Januar 2012)

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