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2011-12-22a Jubiläumsporträt:

25 Jahre Haus Felsenkeller in Altenkirchen –
Kultur und Bildung der etwas anderen Art


Als die Soziokultur den Westerwald aufmischte


ape. Altenkirchen. Es war ein schmales Zeitfenster zwischen den späten 70er- und mittleren 80er-Jahren, in dem die  „soziokulturellen Zentren“ entstanden. Kulturfabrik Koblenz, Tuchfabrik Trier, Kulturzentrum Mainz und andere schlugen teils gegen erhebliche Widerstände ein neues Kapitel alternativen Kultulebens auf. Inzwischen  gehören diese Zentren weithin so selbstverständlich zum öffentlichen Leben wie städtische Theater oder Volkshochschulen. Im frühen 21. Jahrhundert begehen sie nun reihenweise ihre ersten Generationsjubiläen. Eben feierte das Soziokulturelle Zentrum Haus Felsenkeller in Altenkirchen seinen 25. Geburtstag.

Im Rückblick fällt es nicht schwer, jene Aufbrüche als „bürgerschaftliche Eigeninitiative“ und „wertvolles Engagement“ zu würdigen, die auf ihre Weise beitragen, die Gesellschaft offener, toleranter, sozial sensibler und kulturell interessanter zu machen. Damals freilich war die Wahrnehmung durch die Mehrheitsgesellschaft eine andere. Schon in den Großstädten wurden die soziokulturellen Ansätze misstrauisch beäugt oder offen angefeindet als Schmuddelkinder, als Erbwalter der 68er-Revolte oder der ihr folgenden renitenten Schüler- und Jugendzentrumsbewegung. Auf dem Land, droben im westerwäldischen Altenkirchen, war die Situation gewiss nicht einfacher.

Margret Staal, Veteranin der ersten Stunde, Mitbegründerin des Vereins Haus Felsenkeller und dort bis heute aktiv, erinnert sich im Gespräch: Wie junge Leute – Schüler, heimgekehrte Studenten, Arbeitslose, Kulturschaffende – sich damals fanden, mit nichts als tausend Ideen im Kopf und der wilden Entschlossenheit etwas auf die Beine zu stellen. Wie sie mit Handzetteln an Bäumen nach Mitstreitern suchten. Wie sie mit örtlichen Pionieren biologischen Handwerks und ökologischer Landwirtschaft zusammentrafen. Wie sie 1985 in Altenkirchen die erste öko-kulturelle Alternativmesse „Projekta“ veranstalteten – und völlig überraschend von gut 2000 Besuchern überrannt wurden. Wie sie von diesem Erfolg angespornt 1986 ihren Verein gründeten, das leerstehende einstige Kurhotel und Kinderheim Felsenkeller anmieteten, renovierten und mit Café, Kleinkunstprogramm sowie Bildungsangebot in die erste Saison starteten.

Das schreibt sich jetzt leicht dahin, war aber realiter ein hartes Brot. Denn wo ein Wille ist, aber kein Geld, findet sich nur dann ein Weg, wenn viele Leute an einem Strang ziehen und   zusammenlegen. Das galt in der Anfangszeit des Felsenkellers gleichermaßen für die Finanzierung der Örtlichkeit wie den notdürftigen Lebensunterhalt der Akteure. Was drei ABM-Stellen   einbrachten, wurde mit den arbeitslosen Mitstreitern geteilt. Das Solidarprinzip war auch die Grundlage für die Erstausstattung  des Hauses als Kultur- und Bildungszentrum: Eine genossenschaftliche Leihgemeinschaft brachte 75 000 D-Mark zusammen. 20 Jahre später stützte sich der Felsenkeller-Verein erneut auf dieses Prinzip: Vereinsmitglieder, Freunde, Bürger zeichneten Bürgschaften als Spende oder Kredit – bis der Verein 2004 das Haus kaufen konnte.

Auch das erzählt sich leichter als es war. Denn finanzieller Schmalhans zog sich durch die gesamte Geschichte des Felsenkeller-Projektes und ist bis heute dort, sprichwörtlich, Küchenmeister geblieben. Trotzdem ist es eine Erfolgsgeschichte – für die Initiatoren, mehr noch für die Menschen in der Region Altenkirchen. Schon während der ersten fünf Jahre stieß das Felsenkeller-Konzept auch auf bemerkenswert positive Resonanz: Kunst und Kultur jenseits des Mainstreams, eingebunden in ein Netz aus Bildungs-, Beratungs- und Begegnungsangeboten der etwas anderen Art, dafür gab es im Westerwald großen Bedarf.

Wer brachte die Zöllner, Wolf Biermann, die Kölner Saxophon Mafia oder das Frankfurter Fronttheater nach Altenkirchen? Wer wagte sich in den späten 1980ern auf dem Land an Veranstaltungsreihen wie „Wir sind alle Ausländer“ oder bot Kurse für Selbsterfahrung, Meditation, kreatives Malen und Schreiben, Tanz und Theater für Frauen, für Kinder und Jugendliche an? Wer kümmerte sich mit innovativen Aktions- und Bildungsprogrammen um Perspektiven für arbeitslose Jugendliche? Das Haus Felsenkeller! Wer zog nachher für einige Jahre unter dem Motto „Kultur vor Ort“ obendrein mit Weiterbildungskursen und Kleinkunst durch die Dorfgemeinschaftshäuser der kleinen Umgebungsgemeinden? Wer veranstaltet seit 1997 ein inzwischen Kult gewordenes Festival im Spiegelzelt? Das Haus Felsenkeller!

„Bildung heißt ganzheitliches Lernen. Körper, Geist und Seele gehören zusammen“, formuliert  Margret Staal die Denkart, die das Projekt seit den Anfängen und noch immer antreibt. Just da ich dies aufschreibe, erzählt mir eine jetzt in München lebende Journalistenkollegin am Telefon von einem Frühstück 1988 im Café des Felsenkellers: Damals habe sie das erste Frischkornmüsli ihres Lebens gegessen; das sei ihr Einstieg in die Vollwerternährung gewesen. Und bis zum heutigen Tag habe sie das Geschirr nach Felsenkeller-Vorbild in Gebrauch, das sie sich seinerzeit als 19-Jährige anschaffte. Diese Anekdote mag versinnbildlichen, welche Bedeutung der Felsenkeller für viele Menschen „in der Provinz“ hatte und hat.

Zeiten ändern sich. Das Haus Felsenkeller selbst ist heute nur noch selten Ort für Kulturveranstaltungen; und wenn, nur für sehr kleine. Die Enge des einst so oft total überfüllten Veranstaltungsraumes, die Schlichtheit und Winzigkeit der Bühne: Das  Publikum des 21. Jahrhunderts mag sich dergleichen kaum noch zumuten. Weshalb das in den 90ern vom Felsenkeller im Stadtzentrum Altenkirchens eingerichtete „Jugendkulturbüro“ 2008 als eigenständiger Verein ausgegründet wurde. Unter Leitung von Helmut Nöllgen – auch er ein Felsenkeller-Urgestein – macht der Kulturbüro-Verein jetzt Veranstaltungsprogramm in der Stadthalle. Aus dem Felsenkeller-Café der frühen Jahre mit seinem für ländliche Verhältnisse revolutionären Frühstücks-Brunch ist ein gut ausgelastetes Vollwert-Restaurant geworden. Ansonsten dient das Haus vornehmlich als Bildungs- und Tagungszentrum (auch mit Übernachtungsbetrieb) für eigene Kurse sowie unterschiedliche Gruppen vom Trommelworkshop bis zur FSJ-Seminarwoche.

Indes ist der Felsenkeller keiner jener schicken Tagungspaläste geworden, wie etwa Banken sie gerne in Landschlösser bauen. So solide die Einrichtung, blieb ihr doch die alternative  Atmosphäre, in der gemeinschaftliches Lernen auch gemeinsam wohnen, kochen, essen, feiern bedeuten kann. 25 Jahre nach Gründung ist das soziokulturelle Zentrum Haus Felsenkeller eine durchaus etablierte Institution. Und doch gibt sie immer wieder Anstöße und schafft Räume für ein Machen und Erleben, dem an der kreativen Entwicklung des Menschen mehr liegt als an dessen marktkonformer Zurichtung.                                   Andreas Pecht

Infos:
>>www.haus-felsenkeller.de
>>www. kultur-felsenkeller.de



(Erstabdruck Woche 51/52 im Dezember 2011)

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