Quergedanken
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2011-12-22 Kolumne/Glosse:

 

Athen am Mittelrhein

 
ape. Einen launigen Jahresrückblick wollte ich schreiben. Aber Freund Walter meint: „Lass es. Davon wird man nur seekrank. Und wer will schon Galle spuckend ins neue Jahr starten.“  Hat mich überzeugt. Sein Nachsatz indes macht ratlos: „Verbreite ein bisschen Optimismus!“ Woher, zur Hölle, soll ich Optimismus nehmen? Man kriegt doch schon von den zeittypischen Kleinigkeiten das Grausen: Taucht da Graf Gutti wieder auf, ungeläutert – als Internetberater der EU-Kommission. Der Bock wird Gärtner. Geht‘s noch?

Das ist, als würde Koblenz einen Banker beauftragen, den Stadthaushalt nach verzichtbaren Ausgaben zu durchforschen. Der Banker täte, was er immer tut: Rentabilität prüfen. Was nützt Koblenz ökonomisch, und was ist überflüssig? Er würde sich unweigerlich an der Budgetposition „Stadttheater“ festbeißen. Denn für einen Finanzler ist so ein Theater rechnerisch das röteste aller roten Tücher sozialstaatlicher Unrentabilität: Zu nichts gut als der Beglückung einer Minderheit, aber überlebensfähig nur am Staatstropf. Sein Schluss wäre: Die Kommune soll das Ding zusperren oder es als Sparmasse Zug um Zug ausschlachten.

Auf so Ideen kommt, wer eine Stadt mitsamt Bewohnern primär als Wirtschaftsfaktor begreift. Solche Denkart legte den Griechen nahe, ihre Antikenstätten zu verkaufen. Auf dass Disney oder Alltours aus der Akropolis einen knuffigen Erlebnispark machen. Das könnte auch eine Idee fürs Deutsche Eck sein: Ein Scheich übernimmt den Kram, setzt ins Deutschherrenhaus ein schickes Spa-Hotel mit Verbindungsgang zum Kaiserdenkmal, in das eine Saunalandschaft nebst Bar eingebaut wird. Walter kichert: „Warum sind die Hörnis von der freikapitalen Schrumpfpartei noch nicht darauf gekommen? Das wäre mal eine Abwechslung zum ewig wiedergekäuten Vorschlag, das Theaterballett abzuschaffen.“

„Zum Donnerwetter: Die Lage ist zu ernst für Witzeleien!“ Ruft nicht Walter, sondern könnte der Koblenzer Oberbürgermeister fluchen –  weil er eben verkünden musste, was an dieser Stelle schon vor Jahresfrist zu lesen war: Nach der BUGA wird die Stadt sehr lange kein Geld für nix mehr haben. Bei Hofmann-Göttig heißt das „Konsolidierungpause“. Dass an ihr kein Weg vorbeiführt, dafür kann der arme Kerl wenig. Die halbe Milliarde Stadtschulden sind ihm als Erbschaft zwischen die Füße gefallen. „Au Backe, so viel Miese in einer so kleinen Stadt. Griechische Verhältnisse am Rhein“, brummt Walter. Na ja, ist alles relativ, Land und Bund  haben erheblich mehr Schulden auf jeden Bürgerkopf gehäuft. „Also griechische Verhältnisse in Germanien.“

Dann bricht aus dem Freund der Zorn heraus über „Weltstadt-Allüren und Großmannssucht: Zweiter Innenstadtbahnhof gleich neben dem ersten –  überflüssig; nagelneue Rhein-Mosel-Halle – überflüssig. Schlachtschiff-Bebauung des Zentralplatzes nebst Luxus-Sanierung von Löhr- und Schlossstraße – absurd. Vorher schon  sauteure, dafür potthässliche Zubetonierung von Bahnhofsplatz und Münzplatz – bekloppt. Man tat, als sei Geld bei all dem das kleinste Problem. War es aber nicht. Jetzt müssen für die ungedeckte Wachstums-Protzerei Kultur- und Sozialeinrichtungen die Zeche zahlen. Nicht zuletzt das Dreispartentheater, das gut 200 Jahre (2012 sind's genau 225) ebenso unstrittig zum bürgerlichen Koblenz gehörte wie die Akropolis über 2500 Jahre zum Athener Volkseigentum. Eine Scheißlogik, das!“ Er hat recht. Denkt euch was anderes aus.                                                                                                    
Andreas Pecht   

(Erstabdruck Woche 51/52 im Dezember 2011)


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