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2011-11-23 Debatte/Analyse:

Marienstätter Zukunftsgespräche erörtern Genossenschaften und Netzwerke

 

Ein anderes Wirtschaften
ist durchaus möglich


 
ape. Marienstatt. In der Zisterzienser-Abtei Marienstatt (Westerwald) folgt ein etwa 80-köpfiges Auditorium gespannt neun Vorträgen. Vorgestellt werden kleine Wirtschaftsprojekte, die zwar interessant sind, aber auf den ersten Blick nur von jeweils lokaler Bedeutung: eine Genossenschaft im Berchtesgadener Land, eine Bürgeraktiengesellschaft am Kaiserstuhl, ein Betriebe-Netzwerk im Westerwald und andere. Beim zweiten Blick indes wird deutlich: Es geht dabei um Fragen, die eben jetzt aller Welt auf den Nägeln brennen.

 
Angesichts von Finanzkrise, Klimawandel, Ressourcenverknappung, sozialen Verwerfungen schwindet das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der global vorherrschenden Wirtschaftsweise. Nicht nur in Deutschland ist eine Debatte entbrannt, die fragt: Geht es auch anders? Dass diese Frage inzwischen weite Kreise bis tief ins bürgerliche Lager grübeln lässt, signalisieren jüngst  Schlagzeilen wie „Hatte Karl Marx doch recht?“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder „Was ist die Alternative zum Kapitalismus?“ in der Wochenzeitung Die Zeit.

So wurden die von der Landeszentrale für Umweltaufklärung, der Abtei und dem Westerwaldverein veranstalteten Marienstätter Zukunftsgespräche heuer ein spannender Beitrag zur großen Debatte. „Gemeinsam stark sein – kooperative Ökonomie und Nachhaltigkeit“ lautete das Tagungsmotto. Auch dahinter steckte die Frage: Kann es anders gehen? Gibt es gangbare Alternativen zu einer Makroökonomie, die ohne Rücksicht auf Umwelt, Mensch und Gemeinwohl dem Primärzweck „Mehrung der Kapitalrendite“ verschrieben ist?

Es lag den Diskutanten fern, einen Gegenentwurf zur Weltwirtschaftsordnung konstruieren zu wollen. Es ging um konkrete Ansätze für andere Arten des Wirtschaftens auf lokaler und regionaler Ebene – auch jenseits der Systemkonfrontation zwischen gescheitertem Staatssozialismus und eben scheiterndem Turbokapitalismus. Vielfach greifen in Marienstatt vorgestellte Projekte auf ein Prinzip zurück, das gewissermaßen im Grenzland zwischen den Systemen angesiedelt ist und im 19. Jahrhundert im Westerwald begründet wurde: der Genossenschafts-Gedanke des Friedrich Wilhelm Raiffeisen.

Eine bürger- und ortsnahe, selbstverwaltete Solidargemeinschaft, deren Mitglieder ein Vereinsvermögen ansammeln, das Hilfe zur Selbsthilfe und/oder Wirtschaften zum gemeinsamen und allgemeinen Nutzen ermöglicht. In der neoliberalen Hochphase oft als „Sozialromantik“ verhöhnt, stößt die Raiffeisen-Idee seit einiger Zeit auf neues Interesse, gerade im ländlichen Raum. Das Beispiel der Genossenschaft RegioStar aus Freilassing skizziert Gründe dafür. 2004 ins Leben gerufen, war eine ihrer ersten Aktivitäten die Rettung eines Dorfladens. Hinzu kamen Bio-Gartenbauprojekte, ein Netzwerk regionaler Betriebe, die sogar ein eigenes „Regiogeld“ akzeptieren, sowie zuletzt der Bau einer Photovoltaik-Anlage.

Wiederherstellung ländlicher Versorgung, Vernetzung von Produzenten und Vermarktung am Ort, Herstellung regionaler Wertschöpfungsketten und jetzt vermehrt Energieerzeugung in Bürgerhand: Das sind hierzulande die derzeit auffälligsten Betätigungsfelder regionaler und kooperativ auf Nachhaltigkeit zielender Wirtschaftsinitiativen. Das müssen nicht zwangsläufig Genossenschaften sein. Die vom Gärtner Christian Hiß am Kaiserstuhl gegründete Regionalwert AG etwa versteht sich als Bürgeraktiengesellschaft. Sie vereint Bürger, die ohne Spekulation auf fette Geldrenditen in ein ökologisch orientiertes, aber effektives Netzwerk aus Landwirtschaft, Bioläden und verwandten Gewerken in ihrer Region investieren wollen.
 
Einen anderen Ansatz verfolgt das Westerwälder Netzwerk WiBen. Dieser Kreis von rund 90 regionalen Kleinunternehmen und Selbstständigen versteht sich erstens als Forum für Diskussion und Erfahrungsaustausch, zweitens als alternativer Impulsgeber für regionale Öffentlichkeit und Politik. Drittens sieht sich die Gemeinschaft als Solidarverbund, der nicht nur die Wertschöpfung untereinander fördert, sondern mit einem gemeinsamen „Feuerwehrfond“ unabhängig von Banken und Versicherungen einzelnen Mitgliedern unter die Arme greifen kann.

Von Kommunen oder Kreisen angestoßene Initiativen ergänzen das Beispielspektrum: Sei es im Odenwald der Zusammenschluss dreier Landkreise mit dem Ziel energetischer Autarkie auf Basis genossenschaftlich erschlossener Regionalressourcen. Sei es in Andernach der Vorstoß, städtische Grünflächen in biodiversive Bürgergärten zu verwandeln. Bei all diesen Projekten handelt es sich um überschaubare, regional begrenzte Einheiten, die auf bewusste und gemeinschaftliche Mitwirkung vieler Menschen am Ort bauen. Natürlich sind das (noch) ökonomische Nischenerscheinungen. Entscheidend aber ist: Sie funktionieren. Und: Misst man Wirtschaftlichkeit nicht vorrangig an der Kapitalrendite, sondern am Zuwachs ökologischer Verträglichkeit, allgemeiner Lebensqualität und regionaler Identität, dann dürfen die kooperativen bürgernahen Wirtschaftsformen sogar als sehr gewinnbringend gelten.

Am Ende der Marienstätter Tagung stand der Gedanke vor Augen: Gerade die Energiewende könnte solchem Wirtschaften einen ungeahnten Aufschwung bringen. Denn die regenerative Energieerzeugung ist dafür quasi von Natur aus prädestiniert. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, ob Politik und Bürger dem bereits stattfindenden Zugriff der Energiekonzerne auf die regionalen Ressourcen Einhalt gebieten. Global denken, regional wirtschaften, lokal handeln zum Wohle der Menschen: Das können örtliche Kooperativen und Netzwerke besser, verantwortlicher, nachhaltiger als Konzerne und Börsen.                   Andreas Pecht  


(Erstabdruck 23. November 2011)

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