Kritiken Theater
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2011-10-03 Ballettkritik:

Starker Einstand von
Steffen Fuchs beim Koblenzer Ballett


Hinter barocker Pracht
des Menschen Sehnen
 

 
ape.Koblenz. Vorhang auf im Theater Koblenz zur Einstandspremiere des neuen Ballettchefs Steffen Fuchs. Gleißende Scheinwerfer blenden für einen Moment, als blicke man in die Strahlen der Morgensonne. Im nächsten Moment erscheint die nackte Bühne. Und wieder einen Moment weiter entrollt sich seitlich, hinten, oben eine Kathedrale barocker Pracht – und vom Himmel her schwebt unter Fanfarenklängen der Sonnenkönig ein im vollen Putz seiner Zeit.
 

Au weh! Sollte der neue Koblenzer Ballettstil etwa aus dem ältesten Popanz bestehen? Aus höfischer Tänzelei inmitten illusionistischer Kulissenschieberei? Das wäre denn doch zu lächerlich – zu „ridicule“, um den französischen Titel aufzugreifen, den Fuchs seiner Produktion gegeben hat. Es fallen einem aber rasch Steine vom Herzen, als ersichtlich wird: Die Choreografie folgt dem Reglement eines barocken Hoffestes, baut den absolutistischen Kult mit all seinen Krämpfen auf – um ihn dann während 90 Minuten in 15 Tanzbildern genüsslich wie neoklassisch geschmackvoll, mit hintergründigem Ernst, aber auch humorig zu demontieren.

Was ist zeitlos schön am Barock? Hier die Musik (vom Band). Händel, Vivaldi, Bach, Purcell und Co. entzücken. Was kommt uns lachhaft vor? Klamotten und Staffage: Himmelhoch getürmte Perücken, gewaltige Reifröcke. Was empört uns? Die Menschenverachtung des Ancien Régime bis in die Geschlechterbeziehungen hinein. Und genau hier zetteln Fuchs und sein Ausstatter Martin Käser eine Revolution an. Denn dies ist ein Abend der starken Frauen, ridicule sind die Mannsbilder.

Es liegt bei den Damen der Compagnie, bereits in den höfischen Reihentänzen der Kollektiv-Ouvertüre dezent den Willen zum Ausbrechen anzudeuten. Zug um Zug verbreitet sich ein Fließen, ein fast lässiges Schweben, eine selbstbewusste Leichtigkeit und natürliche Leiblichkeit, die der zeremoniellen Gockelsteife der Herren Hohn spricht. Da gibt‘s Watschen für kriegslüsterne Mannen. Da stellt Asuka Inoue im Pas de deux mit Nathaniel Yelton oder Iskra Stoyanova im Liebesakt mit Alexey Lukashevich die Machtverhältnisse auf den Kopf: Lebenslust mitsamt zugehöriger Widerspenstigkeit und Tiefe sind weiblich; die Frau agiert, der Mann reagiert (befremdet).

Das ernste Thema lässt sich auch aus der komischen Perspektive behandeln. Ein keckes Weibsbild wickelt zum eigenen Plaisiere zwei aufeinander eifersüchtige Trottel um den Finger. Martina Angioloni, Campbel Watt und Arkadiusz Glebocki liefern das bei der Premiere als süffiges Kabinettstückchen im Stile der Commedia dell‘Arte ab. Ein weiterer Blickwinkel ergibt sich aus einem markanten Solo von Yolanda Bretones Borra. Sie verknüpft frei variierte Figuren des klassischen und neoklassischen Balletts zu zorniger, wilder Sehnsucht nach Befreiung des Menschlichen von der normierten Beengung. Sie verkörpert die Frau als Hexe, die Bilder vom Kontrast zwischen vermeintlichen Tugenden und Todsünden heraufbeschwört: rechts vier Lakaien in barocker Uniform beim steifen Schreittanz; gegenüber eine gemischte Gruppe von nur noch halb Bekleideten, die sich lüstlich fordernd umringen, umschlingen.

Doch der Weg zur Freiheit ist schwer. Wie Fliegen im Netz hängen und strampeln drei Menschen in den Seilen unter der Decke. Derweil mimt ein Tänzer in Frauenkleidern (wie fürs Theater im Barock Pflicht), was die Herren seinerzeit für typisch weiblich und also „dämlich“ hielten: Rory Stead persifliert Exaltiertheiten und Hysterien, fällt von einer Ohnmacht in die nächste.

So reihen sich die Szenen zu einem opulenten Kaleidoskop, das barocken Usus vorzeigt, ihn aber augenblicklich auch entlarvender Sezierung unterzieht. Der prächtige Putz wird lachhaft, wenn das Untendrunter zum Vorschein kommt: Hüft- und Popolster, Korsagen und Reifringe; der bankrotte König (Michael Jeske) in grauer Wäsche, mit trotzig gestampftem Hoftanz vergangenen Glanz behauptend. Vor allem aber legt die auffällig gut trainierte Compagnie die menschliche Sehnsucht frei. Im Schlussbild ertanzen drei schmucklose Paare zu einer ganz schlichten Passacaglia in ebenso kunstvoller Schlichtheit zart-ruhiges Beisich- und Zusammensein.

„Ridicule“ ist ein sanfter Übergang – Ballett ganz anders als bei Vorgänger Tony Taylor, aber durchaus keine schockierend neue Welt. Ein gescheiter Abend, reich an Sinneseindrücken und Geist, an choreografischem und tänzerischem Talent. Das ist mit Gewinn anzusehen, macht gespannt auf mehr.                 Andreas Pecht

Infos: >> www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck 4. Oktober 2011)

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