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2011-06-19 Schauspielkritik:

„Othello“ in Wiesbaden. Regie: Manfred Beilharz.
Sehenswerter Balanceakt auf des Messers Schneide zwischen Tragödie und Komödie


Diese lächerliche, aber
tödliche Eifersucht



 
ape. Wiesbaden. Shakespeare for ever. Immerdar. Die Bühnenkunst wäre ohne ihn nicht, was sie ist. Das Staatstheater Wiesbaden legte für die Schauspielsaison 2011/12 in der Großregion jetzt mit „Othello“ vor, am nächsten Wochenende zieht Koblenz mit „Macbeth“ nach. Nahebei folgen in Frankfurt „Hamlet“ und „Kaufmann von Venedig“, in Trier „Ein Sommernachtstraum“, in Bonn „Wie es euch gefällt“. Solange Menschen in Gesellschaften zusammenleben, haben die Stücke des englischen Dramatik-Genies ihnen sehr viel zu sagen – seit rund 400 Jahren jeder Generation brandaktuell.

 
In Wiesbaden hat Intendant Manfred Beilharz die große Eifersuchts-Tragödie um den farbigen General Othello im Kleinen Haus auf eine leere Bühne gestellt. Dreiseitig begrenzen von Leuchtröhren gerahmte Schwarzwände den Raum (Bühnenbild: Bernd Holzapfel). Dieser ist zum Auftakt des zweieinhalbstündigen Abends flach an die Bühnenrampe gequetscht. Zug um Zug wird die Rückwand dann nach hinten verschoben, was dem Raum Tiefe gibt, ihn aber optisch auch schmal macht: eine Gasse entsteht, eine Sackgasse. Dahinein verrennt sich der Kriegsheld von Verona, ermordet die Gattin, die ihn liebt – grundlos zur Tobsucht getrieben vom „grünäugigen Monster“, der eigenen Eifersucht.

Beilharz‘ Inszenierung hat eine Eigenart, die dem Zuseher Freude macht: Humor, Doppeldeutigkeit, Saftigkeit wie man sie aus den Shakespear‘schen Komödien kennt. Nun ist „Othello“ aber als Tragödie ausgewiesen und musste deshalb schon auf vielen Bühnen ohne solch Schmunzeln machende Ingredienzien auskommen. Hat den 73-jährigen Regisseur auf die alten Tage einfach der Übermut geritten oder liegt er richtig damit, das Ensemble manch deftige Frivolität sprechen und manche Figur zeitweise nach Commedia-Manier persiflieren zu lassen? Er liegt richtig; ebenso wie Frank Günther, dessen Textübersetzung die lüstlichen und satirischen Anspielungen im Original aufspürt, sie in heute noch verständliche deutsche Sprachwendungen überträgt. So erzwingt quasi die Sprache eine Spielweise, die munter mit dem Allzumenschlichen jongliert. Heraus kommt eine famos auf der tragikomischen Messerschneide balancierende Aufführung.

Franz Nagler gibt einen cholerischen Brabantio, Zeter und Mordio schreiend ob des Umstandes, dass ausgerechnet „ein Mohr“ seine Desdemona heimlich ins Ehebett lockt. Nur mit afrikanischer Zauberei könne das zugehen. Dass das Töchterchen frei und willig Othello umschlingt, bleibt ihm unbegreiflich. Uns nicht, denn Sybille Weiser spielt die Maid als für diesen Mann sinnlich heftig entflammtes Blondchen. Besonders helle ist Desdemona hier nicht, aber grundehrlich und romantisch bis ins Mark: Fassungslos hört sie das von ihrer Zofe Emilia (Franziska Werner) ins Publikum geschleuderte Shakespeare-Plädoyer (anno 1604!) für das Recht auch der Frauen auf erfüllte Fleischeslust – Seitensprünge inklusive, sollten die Gatten ins Hurenhaus gehen, statt daheim ihren Mann zu stehen.

Othello glaubt sich gehörnt und wird darob zum greinenden Jammerbündel. Stark spielt Michael Günther Bard den Verfall von Kraft und Selbstbewusstsein unter Einfluss der Eifersucht aus. Bald lachhaft, bald erbarmungswürdig windet er sich unter Fantasiebildern, die Jagos falsche Einflüsterungen ihm vorgaukeln: Seine Desdemona in ekstatischer Umarmung mit jenem kleinen, quirligen, so ergeben tuenden Leutnant Cassio (trefflich: Michael von Burg). Und was ist der Ausgangspunkt all der schrecklichen Verwicklung? Verletzte Eitelkeit: Dem Fähnrich Jago hatte ausgerechnet der per Kriegsglück zu Einfluss gelangte „Nigger“ (Günther-Übertragung) die Beförderung verweigert und Cassio vorgezogen.

Mit der wuchtigen Präsenz eines zu allem entschlossenen Kriegers schickt Michael Birnbaum seinen Jago, bewaffnet mit dem Stachel der Eifersucht, auf den intriganten Rachefeldzug. Je verheerender diese Waffe wirkt, umso mehr verschwindet in Wiesbaden der Humor von der Bühne. In einem sorgsam abgezirkelten Entwicklungsprozess geht die Inszenierung schließlich in ihre todernste Phase über. Sehenswert.                            Andreas Pecht


Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck 20. September 2011)

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